>>FastForward Magazine Ausgabe 1/2011

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Ausgabe 1/2011

Beatsteaks Imelda May Chilly Gonzales Philipp Poisel Helgi Jónsson & Tina Dico Erdmöbel Darwin Deez Anna Calvi



Herzlich Willkommen zur ersten Ausgabe von FastForward Magazine!

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erne hätten wir euch das erste Heft ganz klassisch im Printfor­ mat präsentiert, so wie wir es im letzten Jahr geplant haben. Aber das Leben schlägt nun mal seine Kapriolen, und aus einer Myriade organisatorischer Gründe brauchen wir dafür noch ein klein mehr wenig Zeit. Trotzdem wollen wir sie euch nicht vorenthalten, unsere wunderbare Erstaus­ gabe! Denn die ist vollgepackt mit dem Besten­an Themen, das wir für euch aus dem Hut ­zaubern konnten. Ob Philipp Poisel, der ­Märchenprinz der etwas anderen Art, Rockabilly-Fee Imelda May, Lieblings-Nerd Darwin Deez oder die Nationalhelden ­Beatsteaks und Fettes Brot – sie alle stan­ den uns in ­diesem und letzten Jahr Rede und Antwort. Deswegen haben wir uns auch be­ wusst dafür ­entschieden, den Schwerpunkt dieser Aus­gabe auf die besten Interviews zu legen. Weil es einfach so viele davon gibt. Also ­aufgepasst, es gibt eine Menge zu lesen!

Und wenn euch beim Stöbern die Lust packt, die nächste Ausgabe ganz in echt, aus Papier, zum in die Tasche knüllen und in der U-Bahn lesen zu besitzen, könnt ihr euch sogar aktiv an deren Entstehung beteiligen. Schaut doch mal rein unter www.startnext.de/­ fastforwardmagazine Aber jetzt sind wir still und überlassen den Künstlern das Reden. Die haben nämlich viel Spannenderes zu erzählen. Viel Spaß! Euer FastForward Team

Editorial

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Foto: Lynn Lauterbach


Inhalt

Editorial 3 The Teaches of Peaches – Peaches 2010 6 Anna Calvi- Eine Frau wie ein Vulkan 12 Neu auf den Plattentellern 14 Im Bett mit Helgi Jónsson & Tina Dico 18 Chilly Gonzales- Genie oder Clown? 24 Darwin Deez‘ große Ziele 28 Beatsteaks – Die Taktschnitzel im Interview 34 Beatsteaks! Kraftklub! Mega!Mega! 40 Fettes Brot – Das Jahr der Brote 42 Philipp Poisel – Momente für die Ewigkeit 50 Erdmöbel – „Einfach mal loslassen“ 54 Imelda May und der Kuss des Todes 60 Beflügelnde Frühlingsmode 66 Neu im Lichtspielhaus 70 Impressum 75 Inhalt

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PEACHES

6 | The Teaches Of Peaches


Kein Major Label hat sich je an mich heran gewagt. Ich war einfach zu speziell. Was gut ist, denn dadurch hatte ich immer meine Freiheit. ­Deshalb gab es auch nie jemanden,­der mir hätte sagen können,­ab jetzt darfst du nur noch 40 % Peaches sein.

"Peaches Christ Superstar" @ HAU Berlin The Teaches Of Peaches

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Es ist spannend zu sehen,­dass di dass man ­kreativ sein muss. Es ge auf jedem ­Festival zu sein, der ­gr

"Peaches Lasershow" @ Berlin Festival

8 | The Teaches Of Peaches


ie Leute langsam­­realisieren, eht nicht darum, der Hauptact rößte Rocker­auf der Welt!

"Peaches Lasershow" @ Berlin Festival The Teaches Of Peaches

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Das komplette Interview mit Peaches gibt es hier: www.fastforward-magazine.de/?p=7882

"Peaches Does Herself" @ HAU Berlin

10 | The Teaches Of Peaches


Ist es nicht der Wahnsinn, dass diese­ Songs eine komplette Geschichte­ ­erzählen? Der Aufstieg ­einer Person,­ ihr Unter­gang, die Liebe, die ­Tragödie. Es ist alles da! "Peaches Does Herself" @ HAU Berlin Fotos: Lynn Lauterbach The Teaches Of Peaches

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Anna Calvi Eine Frau wie ein Vulkan 12 | Anna Calvi


A

nna Calvi. Ein Name, den man sich merken sollte, denn ­dahinter steckt eine außergewöhnliche Frau, die gerade am Anfang e­ iner großen Musikkarriere steht. Bereits im letzten Jahr unterschrieb sie einen Plattenvertrag bei Domino Records und erarbeitete zusammen mit Produzent Rob Ellis, der unter anderem für den Erfolg von Größen wie PJ Harvey oder Placebo verantwortlich ist, ihr Debütalbum „Anna Calvi“, das seit dem 14.01.2011 in Deutsch­ land erhältlich ist. Nicht nur Rob Ellis ist von ihr angetan, auch Nick Cave hat sich verzaubern lassen und sie prompt als Support für seine Band Grinderman mit auf Welttournee genom­ men. Normalerweise wärmen Supportbands die Massen höchstens auf, doch Anna, mit ihren Kollegen Mally Harpaz (Bass, Harmo­ nium) und Daniel Maiden Wood (Drums) im Gepäck, brachte die Menge zum Kochen und stahl den „älteren Herren“ fast die Show. Wellen ekstatischer Klänge trafen auf Wellen ekstatischer Begeisterung. Kein Wunder also, dass Mr. Cave die schöne L ­ ondonerin mit an Bord nahm. Ein musikalisches Traumpaar! Für die frisch geschlüpften Fans gab es am Merchandise-Stand Annas Single „Jezebel“­ limitiert und handsigniert auf Vinyl­zu er­ werben. Einigen kommt der Titel bestimmt bekannt vor… zu Recht! Vor langer, langer Zeit sang ihn Edith Piaf. Eine starke Frau mit starker Stimme und heute eine zeitlose Legende. Zudem ist sie Annas größtes Vor­ bild! Deshalb sollte man Calvis Version von „Jezebel“ nicht unbedingt als Cover, sonder eher als Hommage betrachten. Leider ist dieser tolle Titel auf dem Debüt­ album nicht zu finden. Dafür ist es prall ge­ füllt mit feurigen Titeln wie „The Devil“ oder „Love Won't Be Leaving“. Das Schema des ersten Tracks „Rider To The Sea“ lässt sich in vielen Liedern der Platte wieder finden und

macht klar: diese Frau ist ein Vulkan. Sie lässt es köcheln. Das Köcheln wird zum stärkeren Brodeln, bis sie schließlich fontänenartig ihr Feuer ausspeit. Selbst wer scheinbar aus Stein ist, wird bei dieser Frau dahinschmelzen. Was ist ihr Geheimnis? Die Mischung macht‘s. Neben Edith Piaf beeinflussten ihren Stil Roy Orbinson, Ennio Morricone und Ra­ vel (um nur einige zu nennen). Außerdem ist sie nicht nur eine tolle Sängerin, sonder auch eine ausgezeichnete Gitarristin. Sie zählt zu den seltenen Phänomenen, die erst ein Inst­ rument spielen und dann daran wagen zu sin­ gen. Das gibt ihr eine enorme Sicherheit und dadurch auch eine hohe Bühnenpräsenz. Die E-Gitarre ist für Anna nicht einfach ein Be­ gleitinstrument, sondern sie versucht so viel wie möglich an Ausdruck herauszuholen, wie man es sonst eher von Streichinstrumenten kennt. Aus all den Elementen entsteht die Bezeichnung „Dark Atmospheric Romantic Pop“ wie auf (der) Anna Calvis FacebookFanseite zu lesen ist. Wer jetzt Appetit bekommen hat, sollte nicht einfach bloß auf „Gefällt mir“ klicken, sondern sich mit dem Gedanken anfreunden, dass der nächste CD-Kauf oder Musikdown­ load nicht an dieser Frau vorbei führt. — Reingehört & Verliebt: Ronny Ristok Fotos: Emma Nathan

DISKOGRAFIE Alben Anna Calvi (2011) Singles Jezebel (2010)

TOURDATEN 11.02.2011 Hamburg, Prinzenbar 12/13.02.2011 Berlin Privat Club

Anna Calvi

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Neu

auf den platten tellern Die Beatsteaks machen Boom, Wanda Jackson macht Party. Helgi J贸nsson spielt Blinde Kuh und New Found Land lassen die Glocken l盲uten.

02 14 | Neu auf den Plattentellern

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Helgi Jonsson: 21. Januar auf Fast Land

Wanda Jackson: 28. Januar auf Third Man Records

Der Nachfolger von Helgi Jonssons 2009er Albums „For The Rest Of My Childhood“ war ursprünglich als eine EP mit drei Stücken geplant. Nun ist zum Glück doch ein MiniAlbum mit sieben Songs daraus geworden, von denen einer („Make It Fall“) bereits auf dem Debütalbum „Gloandi“ aus dem Jahr 2005 zu finden war. „Blindfolded“ wurde im letzten Jahr mit­ hilfe des Crowdfunding Portals Pledge Music realisiert und dort vorab veröffentlicht, nun gibt es die EP auch in den Läden, als klei­ nen Vorgeschmack auf das nächste Album, das im Herbst diesen Jahres erscheinen soll. Geprägt ist „Blindfolded“ von sehr ruhigen, sparsam instrumentierten Stücken, die in ih­ rer Intensität und Emotionalität noch grö­ ßer und eindringlicher daher kommen, als man es von Helgi Jónsson bereits gewöhnt ist. Da geht es hinunter in die ganz tiefen Gefühle, wenn er hauptsächlich zu Gitarre und Klavier „Aurora“­oder auch das titelge­ bende „Blindfolded“ singt. Und selbst das verspielte „Thu Matt Alltaf Gista Her“, bei dem Helgi auf von ihm bisher ungewohnte Weise mit Soundfragmenten und Electronica experimentiert, berührt zutiefst auf emotio­ naler Ebene. Eine wunderschöne Platte, viel zu kurz und deshalb immer wieder von vorne zu hören. — Gabi Rudolph

Anfang letzten Jahres veröffentlichte Wanda Jackson als Vinyl Single eine Coverversion des Amy Winehouse Titels „You Know That I’m No Good“ auf Jack Whites hauseigenem Label Third Man Records. Knapp ein Jahr später geht es nun mit der phänomenalen Single „Thunder On The Mountain“ (im Original von Bob Dylan) und dem Album „The Party Ain’t Over“ in die Vollen. Und das macht seinem Namen alle Ehre. Ein Album, dem man die Begeisterung aller Beteiligten in jeder Minute anhört. In 11 Coversongs kann Wanda Jackson die vol­ le Bandbreite ihres gesanglichen Könnens auffahren, von Rock'n Roll (großartige Er­ öffnung: „Shakin' All Over“) über Calypso (etwas albern: „Rum & Coca Cola“ von den Andrew Sisters) bis zum Jodeln: Ihr „Blue Yodel“, von Jack White auf der Akustik Gi­ tarre begleitet, bildet den überaus charmanten Abschluss des Albums. Die Stimme der in­ zwischen 73 jährigen hat über die Jahre nichts von ihrem Klang, ihrer Faszination und Si­ cherheit eingebüßt. Ebenso unverkennbar ist die Handschrift von Produzent Jack White, der selten so fröhlich und gelöst wirkte wie in letzter Zeit in Gegenwart von Mrs. Jack­ son. Die beiden verstehen sich, das spürt man bei ihren gemeinsamen Auftritten, und das hört man auch auf „The Party Ain’t Over“. Ein verdammt lässiges Werk ist das gewor­ den. Mit Wanda Jackson könnte man endlos weiterfeiern. — Gabi Rudolph

Blindfolded

The Party Ain't Over

Neu auf den Plattentellern

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03 Boombox

Beatsteaks: 28. Januar auf Warner Music

Als vor wenigen Wochen die ersten musi­ kalischen Lebenszeichen der hochgejubelten Beatsteaks in Form der Single „Milk & Ho­ ney“ für Aufsehen sorgte, konnten die Fans anfangs wenig mit dem „neuen“ Sound an­ fangen: Die „48/49“ Fans beschwerten sich, 16 | Neu auf den Plattentellern

dass die Band ja irgendwie „so gar nicht mehr Punk“ sei, den restlichen Zuhörern fehl­ te wohl schlichtweg der Zugang zur ersten Single. Eines schrien aber alle gleichlaut: Die Beatsteaks hören sich so „anders“ an. Fort­ während hatten einige schon schlaflose und angsterfüllende Nächte hinter sich ge­ bracht um nun endlich selbst entscheiden zu können,wie denn das „neue und andere“ Werk der Buletten schlußendlich klingt. Nun ist es soweit, und die „Boombox“ hat sich ihren Weg in die Köpfe der geneigten Zuhörer gebahnt. Und ja, die Songs wirken anfangs etwas ungewöhnlich für die Band. Während sich die Platte musikalisch zwi­ schen Metal, Motown, Ska, Punk und Reg­ gae bewegt, bekommt der Zuhörer die eine oder andere ominöse Botschaft wie „This is the time for pigs to fly“ von Arnim vor den Latz geknallt. Oder der Herr Baumann, ei­ gentlich für eine der Gitarren zuständig, darf hier ausnahmsweise auch mal ins Mikro flüs­ tern und offenbart uns sogleich mit der Text­ zeile „Stand naked before the crowd“ seinen sehnlichsten Wunsch. Und auch Bernde hat natürlich einen kurzen aber heftigen Auftritt. In nur einer knappen Minute schießt er uns im ak47 Stil die Message „I'm not gonna wear your shirt“ in die Gehörgänge. Die „Boombox“ klingt vielleicht wirklich etwas anders. Aber anders bedeutet ja nicht zwangsläufig „Schlecht“ (Achtung, Insider!!!). Denn genau das schätzen wir doch auch alle so an den Beatsteaks, dass sie sich eben nicht ständig wiederholen und den Mut haben, ein­ fach auch mal musikalisches Neuland zu be­ treten UND! das ist ja das tolle hierbei, sich und dem eigenen Beatsteaks-Sound dennoch treu bleiben. — Maike Persike


04 The Bell

New Found Land: 18. Februar auf Fixe ­Records /Broken Silence

Blick. Der Bandname ist aber nicht dem Ortswechsel entsprungen sondern bezieht sich darauf, dass Anna erst zur Bandgrün­ dung das Singen und Texte schreiben für sich entdeckte. Vorher spielte sie Saxophon und ihre Projekte und Auftritte waren rein instrumentell. Durch die jahrelange Erfah­ rung mit ihrem Instrument entwickelte sie eine enorme Kraft und Sensibilität in ihrer Stimme und entdeckte schließlich, dass diese auch ohne Saxophon vorm Mund für etwas gut sein kann. Für einige Auftritte braucht sie nicht einmal ein Mikrofon – soviel Stim­ me steckt in ihr. Plötzlich taten sich völlig neue Möglichkeiten auf. Sie begann Texte zu schreiben und zusammen mit Moritz Lieber­ kühn (Gesang, Gitarre, Bass) begann New Found Land zunächst als Musikerduo. Mittlerweile weist die Band stolze sechs Mitglieder auf. Durch diese Bandbreite (Key­ board, Percussion, Saxophon, Tuba, diverse Gitarren) sind die Songs mit vielen inst­ rumentellen und rhythmischen Feinheiten ­versehen. Annas Texte sind leuchtend und verträumt und manchmal etwas verletzlich wie dünnes Papier. Vielleicht auch wie sie selbst. Jedenfalls merkt man in allen Titeln eine persönliche Note. Das merkt man nicht zuletzt an dem schwedischen Titel „Jag Tar Smällen“ was, wenn man Google-Spracht­ ools glauben will, soviel heißt wie „Ich neh­ me den Hit“. Könnte man durchaus als gu­ ten Vorsatz für den nächsten Besuch in der ­CD-Abteilung des Vertrauens betrachten. — Ronny Ristok

Erst seit ein paar Jahren lebt die Musikerin Anna Roxenholt zusammen mit ihren schwe­ dischen Landsmännern und Bandkollegen in der deutschen Hauptstadt. Zuvor lebte sie in Göteborg, doch als sie 2007 das erste Mal Berlin bereiste, war es Liebe auf den ersten Neu auf den Plattentellern

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Helgi Jónsson &Tina Dico Im Bett mit Tina & Helgi

18 | Helgi Jónsson & Tina Dico


D

as Zimmer im Berliner Michel­ berger Hotel besteht zu neunzig Prozent aus Bett, der Rest ist voll gepackt mit Instrumenten (zwei Gitarren, eine Posaune und ein Keyboard) und Taschen. „Zieht eure Schuhe aus und kommt aufs Bett,“ lädt Helgi uns deshalb ein. Bevor wir ins Gespräch abtauchen, das man schwerlich als Interview bezeichnen kann, wird die Tourmüdigkeit mit ordentlich Kaf­ fee bekämpft und Helgis Song „Aurora“ zum Besten gegeben. Ich wusste bis gestern gar nicht, dass ihr zwei heute zusammen auftreten werdet. _Helgi Jónsson: Tina ist so etwas wie der

Überraschungsgast heute Abend. _Tina Dico: Glaube ich, ja. _H: Ich meine, sie spielt ja in meiner Band. _T: Tue ich das? _H: Oh. Ist dir das noch nicht aufgefallen? Über die letzten Wochen hinweg? _T: Ja schon, aber so richtig, für immer? _H: Ja, du bist jetzt ein Mitglied der Band. Na ja, lass uns mal sehen wie du dich heute Abend schlägst, dann gucken wir weiter.

_T: Ich denke, es wurde einfach ein wenig geheim gehalten, weil wir das in Dänemark auch so gemacht haben, bei den Shows, die wir dort gerade gespielt haben. Helgi spielt so viel mit mir zusammen, da ist es wichtig, dass es nicht immer um mich geht und er sich selbst etablieren kann, außerhalb dessen, was wir zusammen machen. _H: Tina ist in Dänemark ganz groß. _T: Also haben wir es in Dänemark geheim gehalten, damit nicht immer nur meine Fans zu den Shows kommen. _H: Heute Abend wird Tina meine Vorband sein. _T: Ja, und ich bin sehr stolz darauf ! _H: Ich finde es unglaublich. Es war alles so einfach. Ich meine, vielleicht war es für dich nicht so einfach… _T: Nein, es war gar nicht so einfach, deine ganzen Songs zu lernen. _H: Nein, aber es passiert alles sehr natürlich. _T: Bei meinen Shows war es immer so, dass Helgi zuerst auf die Bühne kam und ein paar Songs gespielt hat, während ich mit den Jungs hinter der Bühne stand, lachend und Witze reißend, während du draußen diese ernsten Helgi Jónsson & Tina Dico

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Songs spielst. Jetzt weiß ich, wie es ist, in einer Band zu spielen. Auch während der Show. Nicht diejenige zu sein, die alles tragen muss. Dir das zu überlassen. Das ist ziemlich un­ glaublich. _H: Sie kann ja auch singen. _T: (lächelt) Ich versuche es. Helgi, du hast gerade dein Minial­ bum „Blindfolded“ herausgebracht. ­Ursprünglich sollte es eine EP mit drei Stücken werden. Jetzt sind doch sieben daraus geworden. _H: Im Sommer war ich so wahnsinnig

g­ estresst, weil ich monatelang nur auf Tour gewesen bin. Da habe ich gemerkt, dass es nicht passieren würde. Ich musste mich ent­ scheiden, mein Album noch nicht zu machen. Also habe ich gedacht, dass ich eine kleine Tour-EP mache, die ich den Leuten auf die Tour im Herbst mitnehmen kann. Wir haben allein im Herbst um die 60 Shows gespielt. Nachdem ich mich dafür entschieden hatte und den Druck von mir genommen hatte, 20 | Helgi Jónsson & Tina Dico

ein Album aufzunehmen, sind die Songs einfach zu mir gekommen. Ich hatte nie vor, sie wirklich zu veröffentlichen. Aber die ­Leute waren sehr glücklich damit und ha­ ben mich ermutigt, es zu tun. Also haben wir uns entschlossen, die EP als kleines Lebens­ zeichen zwischendrin herauszubringen, bevor im Herbst das nächste Album herauskommt. _T: Ich finde, diese EP ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie vielseitig das ist, was du machst. Sogar diese sieben Stücke zei­ gen sehr viele unterschiedliche Richtungen, sowohl deine rockige, radiofreundliche Seite als auch die eher seltsamen Sachen. Du experimentierst diesmal mehr, das ist auffällig. _H: Ja, tue ich. Ich mag diese Sachen. Viel­

leicht nehme ich das als Element in meine neue Musik mit hinein, ich weiß es noch nicht. Jetzt haben wir erst mal mit einer fünf wöchigen Tour angefangen, was toll ist, wir sind lange in Amerika unterwegs. Aber jetzt will ich eigentlich zurück ins Studio.


_T: Wir werden sicher unterwegs aufnehmen. _H: Wir werden unterwegs aufnehmen, ja.

Während der Tour? Habt ihr denn Energie dafür? _T: Normalerweise nicht. Aber ich glaube du wirst so inspiriert sein, dass du einfach nichts dagegen tun kannst. _H: Es geht ja auch nur darum, Skizzen zu schaffen, nicht unbedingt etwas, das man am Ende verwenden wird. Wenn man etwas in einem Hotelzimmer aufnimmt wird der Sound wahrscheinlich nicht so, dass man es benutzen kann. _T: Ich habe viele Demos in Hotelzimmern aufgenommen. Im Bad. _H: Richtig. Um mehr Sound zu bekommen. _T: Den Computer, den Verstärker, die ­Mikrofone einfach im Badezimmer aufbauen. _H: Ich habe ein paar Videos von dir in ­Hotelbadezimmern gemacht. _T: Auch das stimmt. (nach einer kurzen P ­ ause) MUSIK Videos. (Gelächter) Als ich dich 2009 das erste Mal getrof­ fen habe warst du ja sehr überzeugt davon, dass du das Album im folgenden Jahr herausbringen würdest. _H: Das war mein Plan. Ich habe es absolut

gesehen, aber es ist einfach nicht passiert. Ich habe im letzten Jahr über 100 Shows gespielt. Wahrscheinlich sogar eher um die 150. Da war einfach keine Energie übrig, es zu tun. _T: Dieser Druck, mit einer Deadline im Hintergrund kreativ zu sein, kann einen ganz schön erdrücken. _H: Ich habe ein kleines, eigenes Studio, in dem ich jetzt sehr viel gearbeitet habe, wo ich die „Blindfolded“ Platte aufgenommen habe. Dieser Arbeitsprozess hat irgendwie für mich und meine Musik, zumindest zu diesem Zeit­ punkt, sein Limit erreicht. Ich musste also irgendwo anders hin und mit Leuten zusam­ men arbeiten, viele Leute um mich herum haben, Spaß haben, Musik machen. _T: Es war dieser Sommer, du warst die ganze

Zeit in deinem Studio, ohne Fenster. Du bist richtig ein bisschen verrückt geworden. _H: Total. Ich war nicht glücklich. Ein paar Sachen haben mich zu der Zeit ganz schön fertig gemacht.

Die Stücke auf „Blindfolded“ sind auch sehr emotional. _H: Ja. (überlegt lange) Es war auch eine große­

Arbeit für mich in Bezug auf die Texte. Das war bisher vielleicht nicht meine stärks­ te ­Seite, beziehungsweise, es fällt mir nicht leicht, Texte zu schreiben. Ich brauche Tage um Tage, um in Fluss zu kommen, aber wenn ich einmal dort bin, habe ich das Gefühl, dass ich etwas erreichen kann. Der erste Song, „Make Me Fall“, ist bereits auf deinem ersten Album er­ schienen. Wie kam die Entscheidung, ihn noch einmal zu veröffentlichen? _H: Mein erstes Album ist in Deutschland

und Österreich herausgekommen, aber es ist nicht viel damit passiert. Die Wahrheit ist, dass ich zu dem Zeitpunkt noch nicht so weit war, um zu touren. Ich war noch nicht in der Lage, wirklich gute Live-Shows zu spielen und hatte noch nicht die Infrastruktur, eine richtige Tour zu buchen. Also wissen die Leu­ te nicht sehr viel über diese Musik. Leute, die Radio machen und diesen Song kennen ha­ ben mir gesagt: „Es ist ein guter Song, warum tun wir nicht etwas für ihn? Warum machst du nicht eine neue Version davon? Dann kann man versuchen, ihn ins Radio zu bringen.“ In Dänemark spielt ihn jetzt eine der größten Radiostationen. _T: Die größte Radiostation. _H: Er unterscheidet sich natürlich sehr vom Rest der Platte. Ich habe schon darüber nach­ gedacht, ob er den anderen Liedern gerecht wird oder ob er ihnen im Weg steht, aber dann habe ich gedacht, nein, es ist doch nur ein Song! Wenn die Leute ihn nicht mögen, kön­ nen sie ihn ja überspringen. Aber er scheint den Leuten zu gefallen. Helgi Jónsson & Tina Dico

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Ihr habt ja sicher schon eine Menge unglaublicher Dinge zusammen erlebt. Könntet ihr euch einigen auf einen ganz besonderen Moment, vielleicht den besten, aufregendsten überhaupt? _T: Das ist eine sehr gute Frage. Wir haben

uns Mitte 2008 getroffen und haben seitdem bestimmt 300 Shows zusammen gespielt. ­Total verrückt. Das unglaublichste für mich ist, dass wir immer besser werden. Und die Möglichkeit zu haben, jemanden zu treffen, auf einer musikalischen Ebene, auf diese Weise… manchmal weiß ich nicht, bin ich es die singt oder er. Das macht für mich jede Show, die ich spiele zu einer noch größeren Erfahrung. _H: Wir habe gerade eine riesige Tour in ­Dänemark gemacht, große Hallen mit vier bis fünftausend Leuten, 20 Shows, alle ­ausverkauft. Wunderschönes Publikum. _T: Aber die größten Shows waren für mich die kleinen. Wenn alles zusammen passt und es nur wir zwei sind. Wenn es ganz intim ist und wir uns richtig hören können, das ist sehr magisch für mich. _H: Es ist wirklich schwer, etwas herauszu­ picken, weil alles zu einem großen, mysteri­ ösen Ganzen zusammen kommt. Ich weiß es nicht… natürlich auch Momente, wenn wir nicht auf der Bühne sind, da passieren uns auch verrückte Sachen. Aber… _T: Ich weiß es nicht. Das ist eine ganz schön schwere Frage. _H: Vor zwei Wochen hatten wir ein wahn­ sinnig gutes Yatzi Spiel, ich habe 343 Punkte gemacht. Sehr aufregend… (Gelächter) _T: Wenn Helgi Yatzi spielt, das ist un­ glaublich. Er ist so gut darin. Ich denke dann manchmal, vielleicht muss ich doch ein ­spiritueller Mensch werden. _H: Ich bin schon einer. Ich rufe dann immer nur: „seht euch all diese sechsen an!“ (Gelächter) Hm. Ich glaube aber, wir haben deine Frage nicht beantwortet. 22 | Helgi Jónsson & Tina Dico

Aber sie nicht beantworten zu können ist vielleicht auch eine Antwort. _H: Das ist wahr... — Interview: Gabi Rudolph Fotos: Samantha West (Helgi Jonsson)

DISKOGRAFIE Tina Dico Alben Fuel (2001) Notes (2003) Far (2004/EP) In the Red (2006) Count to Ten (2007) A Beginning, a Detour, an Open Ending (2008) The Road to Gävle (2009) Welcome Back Colour (2010)

DISKOGRAFIE Helgi Jónsson Alben Glóandi (2005) Childhood (2009) Kví Kví (2009/EP) Blindfolded (2011/EP)


Foto: Lynn Lauterbach

Florence & The Machine @ Astra, Berlin


Chilly Gonzales Genie oder Clown? 24 | Chilly Gonzales


C

hilly Gonzales trägt Jeans, ein ­kariertes Hemd und eine weiße Trainingsjacke. Er begrüßt uns an der Tür zu seinem Backstage ­Bereich in den Fliegenden Bauten, wo er am Abend im Rahmen des Reeperbahn Festivals auftritt, und fragt als erstes, ob wir vorhätten, ihn zu filmen oder zu fotografieren. „Darauf bin ich nämlich nicht eingestellt“, sagt er. „Ich lasse mich nie in Privatklamotten foto­ grafieren. Wenn ich es weiß, bringe ich ein Kostüm mit.“ Also fotografieren wir nicht. Eine Weile stehen wir unschlüssig im Raum und über­ legen, wo wir uns niederlassen. Schließlich bietet er uns Stühle an und nimmt selbst auf der Chaiselounge Platz. Da liegt er und ist offensichtlich bereit. Wir können beginnen.

_C: Ja, aber du bist sicherlich ein aufgeschlos­

sener Mensch, der weiß, dass ich viele ver­ schiedene Dinge tue. Die Sache ist, das, was ich am Klavier machen kann, kann grob von jedem verstanden werden. Das gibt mir das Selbstvertrauen, andere Dinge auszuprobie­ ren. Vielleicht denken manche Leute, dass ich nicht das Recht habe, bestimmte Dinge zu tun. Vielleicht habe ich als Weißer nicht das Recht, ein Rapper zu sein. Ich weiß nicht, die Leute haben manchmal komische An­ sichten wenn es darum geht, was man tun darf und was nicht. Natürlich habe ich mich von Anfang an bemüht, verschiedenste Dinge auf extreme Art und Weise zu tun. Präzise ge­ sagt wird dieser Typ hinterher aus dem Kino gegangen sein und gesagt haben „Fuck it, er hat es getan! Jesus Christ, ich habe gedacht er

Vielleicht habe ich als Weißer nicht

das

Recht, ein Rapper zu sein.

Ich habe vor kurzem deinen Film „Ivory­ Tower“ gesehen. Hinter mir saß ein Mann, dessen Freundin fragte: „Was wird das für ein Film sein?“ Er meinte: „Wahrscheinlich ein Konzertfilm. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er ei­ nen richtigen Spielfilm macht.“ Dabei ist „Ivory Tower“ genau das, ein klassi­ scher Spielfilm mit einer geradlinigen Handlung, ausgereiften Charakteren… denkst du, dass die Leute darüber er­ staunt sind? _Chilly Gonzales: Keine Ahnung. Sind sie?

Ich halte den Rekord für das längste Konzert der Welt, an diesem Punkt hätte ich gedacht, dass die Leute alles von mir erwarten. Mich zumindest hat es nicht über­ rascht.

könnte das nicht, aber er hat es getan!“ Denn der Film ist nicht wirklich ein Desaster. Die meisten Leute kommen hinterher raus und sagen „Der Film ist ein bisschen besser ge­ worden als ich gedacht hätte“ ,und das genügt mir. Es war schwierig. Viele Menschen, viel Geld. Gut, nicht wirklich viel Geld für einen Film, aber trotzdem. Ich war für alles verant­ wortlich, habe mir die Story ausgedacht, den Regisseur ausgewählt. Adam Traynor. Wie bist du auf ihn ge­ kommen? Es ist ja auch sein erster Film. _G: Er ist Kanadier und lebt in Berlin. Er

hat auch in Paris gelebt. Er sieht aus wie ein Regisseur. Hast du ein Foto von ihm gesehen? Ich brauchte einfach jemanden, der aussieht wie ein Regisseur. Das war keine große ­Sache. Chilly Gonzales

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Anfangs wollte ich auch nur einen mittellan­ gen Film machen, um die 40 Minuten. Aber dann war schnell klar, dass niemand es ernst nimmt, wenn es kein richtiger Spielfilm wird. Und jetzt nimmt den Film keiner ernst, bis wir einen Verleih für ihn gefunden haben.

Hast du dich in irgendeiner Form als Schauspieler auf das Projekt vorbe­ reitet? _C: Ich habe die Rolle für mich geschrieben.

Also bin ich auf Nummer sicher gegangen, dass nichts darin vorkommt, das ich nicht machen kann. Manchmal haben wir beim Schreiben überlegt, was Hershell tun könn­ te und ich habe direkt gesagt, lasst uns das raus streichen, das kann ich nicht spielen. Ich möchte nicht den Druck haben etwas zu tun von dem ich mir nicht sicher bin, dass ich es schaffen kann. Es ist das Gleiche, wenn ich Klavier spiele. Ich wirke wie ein ziemlich guter Klavierspieler, weil ich für mich selbst schreibe. Ich muss nicht damit kämpfen, dass ich diesen Teil, den Debussy geschrieben hat, nicht spielen kann. Nein, ich schreibe so, dass ich es spielen kann. Aber du hast das komplette Libretto von „Jesus Christ Superstar“ gespielt, allein am Klavier. Und es sieht bei dir immer so aus, als würdest du dir das aus dem Ärmel schütteln. _C: Ja ja, es sieht so aus… (überlegt) Aber auch

bei „Jesus Christ Superstar“ habe ich meine eigenen Parts geschrieben. Ich habe das Lib­ retto auf einen Solo-Klavierpart reduziert. Ich spiele nie, was ein anderer geschrieben hat. Sogar wenn ich Coversongs spiele. Deshalb siehst du mich niemals kämpfen, außer ich will es so. Das gleiche Prinzip habe ich beim Film angewendet. Jetzt sieht es so aus, als wäre ich ein einigermaßen guter Schauspieler. Peaches ist eine wahre Schauspielerin. Tiga und ich sind mehr die „Funny Guys“… wie auch immer. Peaches ist anders. Sie macht sehr viel ohne wirklich viel zu machen. Hast 26 | Chilly Gonzales

du „Peaches Christ Superstar“ gesehen?

Ja, habe ich. Aber auch hier ist es ein ähnliches Thema. Ich hatte das Gefühl, dass viele Leute im Vorfeld erwartet haben, dass ihr eine Persiflage daraus macht. Einen großen, spektakulären Witz. _C: Ja, aber hey, so sind sie, die Hipster! So

schauen sie auf alles. Was soll man dagegen tun? Aber gut, Hipster haben uns zu dem gemacht, was wir sind, deshalb kann ich mich nicht wirklich beklagen. Trotzdem, es stimmt schon. Der Punkt ist, dass die Leute sich nie sicher sind, ob wir Witze machen oder nicht. Wir wollen es aber auch so. Das ist es, was uns zu Entertainern macht. Jeder, den wir mögen – sei es Borat, Daft Punk oder James Brown – ist ein klein wenig lächerlich. Sonst wären sie keine Legenden. Genie oder Clown? Wenn man es auf Anhieb wüsste, wäre es langweilig. Sogar Mozart war ein totales Clown-Genie. Ich mag es, die Hipster da sitzen zu sehen wie sie darauf warten, dass wir einen Witz machen. Das ist ein guter Moment. Gibt es eigentlich noch irgendetwas, das dir Angst macht? _C: Oh ja, viele Dinge! Es gibt vieles, das

ich nicht tue. Ich habe bei „Ivory Tower“ zum Beispiel nicht selbst Regie geführt. Das kann ich nicht, auf gar keinen Fall! Ich habe bei diesem Film nicht alles selbst gemacht. Ich habe einen professionellen Drehbuch­ schreiber engagiert und hatte auch sonst viel Unter­stützung. Beim Guinness Weltrekord zum Beispiel hatte ich sehr viel Hilfe von meinem Management. Generell habe ich ein riesiges Netzwerk an Leuten, die mich unter­ stützen. Ohne diese Leute zu arbeiten – das würde mich zu Tode ängstigen. Bei deinen Piano Shows gehst du ein­ fach raus auf die Bühne, ohne zu wis­ sen, was dich erwartet. Mir persönlich würde das sehr viel Angst machen. _C: Ja, es ist wie Krieg. Ich sage immer w ­ ieder


und nimmt das Ge­spräch an – es ist Peaches. „Hey, ich bin in einem­Interview. Wir reden gerade über dich… sie haben mir erzählt, dass ein Freund ganz verstört­war, weil bei einer meiner Shows Leute Sex auf der Bühne hatten. Ich habe gesagt, dass muss bei dir gewesen sein…“ Peaches spricht. Gonzales wirft uns einen vielsagenden Blick zu. Schade,­dass wir nie erfahren werden, was sie ihm ­erzählt hat. Er verspricht zurückzurufen. Gut. Ein Weltrekord. Ein eigener Film. Worauf stürzt du dich als nächstes? _C: Ich liebe immer noch Rap-Kultur und

„Entertainment is war“, und das glaube ich wirklich. Du kannst proben, du kannst üben. Aber sobald du da raus gehst, können Un­ mengen unvorhergesehener Dinge passieren. Wenn ich merke, dass das Publikum schon betrunken ist und nicht wirklich aufpasst, muss ich mein Programm ändern. Ich muss aggressiver spielen, mehr ein Freak sein. Oder okay, heute Abend sind viele Menschen mit grauen Haaren im Publikum, dann bringe ich vielleicht lieber nicht die ganzen schmutzigen Rap Songs. Du bereitest dich vor und hast Erfahrung – ich spiele über 100 Shows im Jahr – aber in vielen Fällen musst du dich spontan entscheiden, etwas anderes zu ma­ chen. Du hast einen Plan, und dann wirfst du ihn wieder weg. Grundsätzlich kann aber alles passieren.

Rap-Musik sehr. Viele meiner Ideen kom­ men von Rappern. Ich würde gerne einmal eine Zeitlang in dieser Welt leben, die ich die „NBA des American Rap“ nenne. Ich hatte­ein paar Momente, in denen ich ver­ sucht habe, da mehr rein zu kommen. Das war aber immer mehr zufällig und ich habe es nie zu meinem Haupt Fokus gemacht. Eines Tages wäre ich gern im Studio und würde Arrangements machen, meinen Teil zu dieser Welt beitragen. Das ist die musikalische Welt, die ich eigentlich liebe, das sind meine Idole. Zurzeit lebst du aber immer noch in Europa. _C: Ich lebe in Paris. Nicht unbedingt die

Hauptstadt des Rap. Deswegen… Du fragst mich, was übrig bleibt? Ich sage der Hip Hop. Dort könnte meine Zukunft sein. Wo auch immer „dort“ sein mag. Ich weiß es nicht. — Interview: Gabi Rudolph Fotos: Lynn Lauterbach (Berlin Festival 2010)

Ein Freund von mir erzählt heute noch von einer deiner frühen Shows, bei der zwei Männer Sex auf der Bühne hatten.

Das war wahrscheinlich eine Peaches Show. Bei einer Gonzales Show haben Leute keinen Sex auf der Bühne. Ich meine, ich bin nicht dagegen, aber es ist nicht passiert. Und hey, es ist faszinierend, dass Peaches noch einmal eine ganz andere Art von „Freakiness“ in den Leuten zum Vorschein bringt. Just in diesem Moment klingelt Gonzales‘ Telefon. Er entschuldigt sich

DISKOGRAFIE Alben O.P. Original Prankster (1999/EP) Gonzales Über Alles (2000) The Entertainist (2000) Presidential Suite (2002) Z - Kitty-Yo (2003) Solo Piano (2004) Soft Power (2008) Ivory Tower (Gentle 2010)

Chilly Gonzales

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Darwin Deez „Ich wünsche mir, dass jemand ein Kind nach mir benennt…“ 28 | Darwin Deez


essen, aber da sind ja auch noch wir, mit denen er sich unterhalten soll. Mit einer Aluschale vom Thaiimbiss in der Hand setzt er sich zu uns und fragt, ob es uns etwas ausmacht, wenn er nebenbei isst. Nicht im Geringsten. Auch wenn das Essen schließlich doch stehen bleibt und kalt wird. Wie geht es dir heute? _Darwin Deez: Gut. Sehr beschäftigt. Ich

habe heute den Rohschnitt unseres nächs­ ten Videos bekommen. Den habe ich mir schnell angesehen und Kommentare dazu ans Label geschickt. Wir haben ein paar Remixes­ für „Constellations“, die nächste Single, ­gemacht. Ich bin ein bisschen spät dran, das Artwork für die Single zu liefern. Na ja, dann Soundcheck, Interviews, Essen.

A

n Darwin Deez scheiden sich die Geister. Den einen ist er zu nerdig­mit seiner Jesus-Frisur, den überlangen Armen und Beinen und diesen Pullovern von der Sorte,­ ­die früher nur die bemitleidenswertesten Kids der Klasse tragen mussten. Andere verehren ihn als neuen Pop-Gott, auf seiner FacebookSeite häufen sich die Liebesbekundungen und Heiratsanträge. Fakt ist: ­Während sein Debütalbum in seiner Heimat, den USA, erst im Februar diesen Jahres erscheinen wird, ist Darwin Deez hierzulande aus dem Indie-Pop-Universum nur noch schwer weg­ zudenken. Im März gibt es wieder die Gelegenheit, ihn in Deutschland live zu erleben. Wir haben ihn im letzten Jahr vor seinem Berlin Konzert zum Interview getroffen: Darwin kommt gerade vom Soundcheck, der nicht ganz rund lief und alles ein wenig nach hinten verschiebt. Er würde gerne etwas

Kannst du dich daran erinnern, was du um diese Zeit genau vor einem Jahr gemacht hast? _D: September… oh… nein. Ich war… (lange

Pause) ich glaube, ich war gerade dabei, das Album fertig zu stellen, um es dem ­Label abzuliefern. Ich kann mich nicht genau ­erinnern…

Ich frage, weil das, was gerade mit dir passiert, von außen aussieht wie ein klassischer Über-Nacht-Erfolg. War das wirklich so? _D: Es ging schon schnell, dass die Leute mit­

gekriegt haben, was wir machen. Das haben wir Steven von unserem Label Lucky Num­ ber zu verdanken. Ähm… September… (lange Pause. Darwin überlegt) September ist kom­ plett weg. Wahrscheinlich habe ich Shows in New York gespielt. November, da kann ich dir genau sagen was ich gemacht habe. Gerne. _D: Im November waren wir in den USA

auf Tour. Wir haben als Support für diese­ Band namens Bishop Allen gespielt. Drei ­Wochen lang sind wir durch die USA gefahren. Das war toll, wir hatten viel Spaß. Oktober und September… ich kann mich Darwin Deez |

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nicht erinnern. Wahrscheinlich bin ich mit meiner Freundin ausgegangen.

Deine Songs und Du, ihr habt ja schon eine längere Beziehung. Du hast sie bereits vor einiger Z ­ eit geschrieben, auch wenn dein Album dieses Jahr ­herausgekommen ist. _D: Ich habe sie vor drei Jahren aufgenom­

men. Es ist gut. Ich fühle mich sehr sicher mit ihnen. Glücklich. Ich bin sehr zufrieden mit ihnen.

Das hört sich gut an. Du hast sie in­ zwischen schon sehr oft live gespielt. Schön, dass Ihr Euch noch mögt . _D: Ja. (Pause) September… ich habe wahr­

scheinlich als Kellner gearbeitet, drei oder viermal die Woche.

Hättest du damals gedacht, dass du in einem Jahr so weit sein würdest? _D: Ich hätte nicht gedacht, dass ich so be­

schäftigt sein würde. Ich dachte, um diese Zeit wäre ich schon wieder zurück im R ­ estaurant. Aber das bist du nicht. _D: Ja, das ist gut. Sehr gut. Jetzt denke ich

langsam, dass ich wahrscheinlich nie wieder dort sein werde. Damit hat sich ein Traum er­ füllt. Im September war mein größter Traum, diesen Job hinzuschmeißen. Ich werde diesen Job kündigen. Es mag noch fünf Jahre dauern, aber ich werde es tun. Das ist gut. Viele Bands veröffentlichen ihr erstes Album und kriegen nicht so viel Aufmerksamkeit damit. In vielen Ländern stimmt das für mich auch immer noch, aber Deutschland ist eine Ausnahme. Deine Tanzchoreografien sind toll. _D: Danke schön! Die Leute schätzen das

sehr. Ich meine, ich würde es auch schätzen, wenn ich zahlendes Publikum wäre.

Kommst du im Moment dazu neue Songs zu schreiben oder hast du dafür­ keine Zeit? _D: Zeit habe ich, aber nicht den Mut, das

Selbstvertrauen und die Disziplin. Ich ver­ suche es. Aber ich schreibe zumindest im­

30 | Darwin Deez

mer Texte auf. Und ich analysiere Texte. Wie andere Leute Texte schreiben. Höre viel ­Musik. Aber das ist etwas anderes als ­Musik schreiben. Musik schreiben ist wie einen ­ Berg hinunter rollen. Einfach… los!

Was ist jetzt dein großes Ziel? _D: Ich möchte einmal bei einer Award Show

auftreten. Und ich möchte meine Musik­auf www.pitchfork.com bekommen. Ich hoffe,­ dieses Musikvideo hilft. Ich weiß, dass ­jeder Pitchfork liest. Sie haben bereits den ­Regisseur des Videos interviewt. Ich weiß sie mögen­den Regisseur und es wird ein wirklich cooles Video. Also: Pitchfork. Award Show. Früher war mein großes Ziel, dass jemand sich ein Darwin Deez Tattoo machen lässt, und das hat sich letzten Monat erfüllt. Zwei Mädchen haben sich „Radar“ und „Detector“ auf die Füße tätowieren lassen. Das haben sie mir auf einem Festival gezeigt. Ich dachte wow, das ging aber schneller als ich gedacht hätte. Das war ein Ziel. Das nächste ist, dass jemand ein Kind nach mir benennt. Das sind die Ziele! Pitchfork, Award Show. Vielleicht auch einen Award gewinnen. Das gehört auch dazu. Und das Kind. Wenn ich mir deine Facebook Seite­ ansehe, dürfte dieses Ziel nicht in ­ ­weiter Ferne sein. Die Leute verehren dich ­regelrecht. _D: Ich weiß. Sie ist wie ein Schrein für mich. Ich habe gehört, dass deine Eltern dich damals sehr ermutigt haben… _D: Weißt du, sie waren sehr verständnis­

voll. Sie wollten­wirklich, wirklich, dass ich das College beende. Und ich hab’s nicht gemacht. Zwei Jahre College habe ich ge­ macht. Ich bereue das im Moment nicht. Ich möchte ­kreativ sein. Das ist nichts, das man in der Schule lernt. Das muss man einfach machen, erkunden. Wenn du Erfolg damit hast Musik zu machen… wenn du Erfolg im Musik­geschäft hast. Das ist etwas komplett anderes als Erfolg damit zu haben Musik zu


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machen. Dann gibt es Möglichkeiten. Es gibt viele Jobs im Musikbusiness. Meine Eltern waren sehr liebevoll, sehr aufmerksam. Sie haben mir eine Gitarre gekauft als ich elf war. Sie haben mir ein Schlagzeug gekauft als ich 16 war.

Stimmt es, dass du diese Gitarre immer noch spielst? _D: Ich spiele diese Gitarre immer noch, ja.

Sie ist okay. Langsam könnte ich eine bessere gebrauchen.

Und was sagen deine Eltern heute? Sind sie stolz? Machen sie sich viele Sorgen? Fragen sie ob du genug schläfst, genug isst… _D: Sie sind sehr stolz. Ich glaube sie wissen,

dass ich viel esse. Meine Mom ist cool. Sie hat sich viele Sorgen gemacht, als ich damals nach New York gezogen bin. Meine Schwester hat gesagt, du wirst niemals in New York über­ leben. Ich bin sehr sensibel, weißt du. Aber es war okay. Das war noch so etwas, das ich erreicht habe: Ich habe ihnen gezeigt, dass ich es kann. Das ist toll. Sie sind sehr glücklich. Ich meine, meine Eltern sind immer noch verheiratet. Das ist doch total verrückt. — Interview: Gabi Rudolph Fotos: Pieter M.van Hattem

DISKOGRAFIE Alben Darwin deez (2010) Singles Constellations (2009) Radar Detector (2010) Constellations (2010) Bad day (2010)

TOURDATEN 07. März 2011 Hamburg, Knust 08. März 2011 Münster, Gleis 22 09. März 2011 Köln, Gloria 10. März 2011 München, Backstage Halle 11. März 2011 Berlin, VERLEGT NACH: Astra (vom Lido)

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Foto: Lynn Lauterbach

Scissor Sisters @ Postbahnhof, Berlin


Beatsteaks 34 | Beatsteaks


Und heute auf dem Interviewspeiseplan?

Taktschnitzel in Milch und Honig

Beatsteaks

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Z

war nicht unterm Tannebaum aber unter guten Vorzeichen finden sich, trotz erheb­ licher Schneemassen, noch fehlender Weihnachtsge­ schenke und des ohnehin schon reichlich vor­ handenen Brimboriums um all die aufregen­ den Neuigkeiten, zwei der Taktschnitzel am 17. Dezember zum gemeinsamen Plausch ein. Dies ist der Kalendertag, an dem die Beatsteaks das Türchen zu ihrem Weih­ ­ nachtsliedchen sowie zur MTV Videopre­ miere ihres Single-Neulings „Milk & Honey“­ öffnen. Also alles so richtig großes Star Zeug mit Rummel und deutschlandweitem Trommel­wirbel. Doch all das will man weder dem nonchalanten Arnim Teutoburg-Weiß noch dem sympathischen Thomas Götz so wirklich anmerken. Die Beatsteaks feiern eine kleine Pre­ miere, heute kommt eure erste Weih­ nachtssingle heraus. Seid ihr so große Fans vom Dicken in Rot oder was hat euch dazu bewogen? _Arnim: Die Plattenfirma fragte, ob wir ein

exklusives Weihnachtslied machen und wenn die Plattenfirma uns fragt dann musst du dir das so vorstellen: „Sag mal, hast du Bock dir die Haare schwarz zu färben?“ Also es hat keiner damit gerechnet und normaler Weise gehen wir auf solche Fragen gar nicht erst ein, aber wir waren eben im Proberaum, hatten einen Tag Zeit und dann war es auch schon fertig. Und warum ist es „Merry Christmas Everybody“ von Slade und nicht „Es ist ein Ros entsprungen“ aus dem traditi­ onellen Gesangsbuch geworden? _Thomas: Tja, Slade … Hammer! _A: Ja, Slade, Hammer! Ich liebe dieses

Slade­Lied! Ich finde das ist wirklich eines der geilsten­Weihnachtslieder. Die anderen waren der gleichen Meinung und dann h ­ aben wir uns halt einfach gesagt: „Los gehts, dann machen wir das jetzt!“ und haben das Ding

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an einem Tag zusammengeschustert. Es gibt sicherlich Coverversionen, die toppen das Original, davon sind wir weit weg, aber wir haben eine coole Version davon gespielt und hatten einfach tierisch Spaß. Hätten wir den nicht gehabt, dann würde der Song erstmal gar nicht so klingen, beziehungsweise es hätte ihn gar nicht geben. Also kann man davon sprechen, dass das eure bandinterne Weihnachts­ zermonie war? Instrumente-Wichteln ­resultierend in einem Song- Geschenk für die Fans? _A: Irgendwie schon, ja. Ehrlich gesagt war

das im letzten Monat einer der schönsten­


_A: Naja, die letzte Platte­ist 2007 entschie­

den, dann haben wir 2 Jahre­getourt, das Doppelllive­album veröffentlicht, dann haben wir uns ein Jahr eine Auszeit genommen und sind seit Anfang des Jahres auf den Spuren des neuen Albums unterwegs. Seit Juni dann auch effektiv im Studio. Also für mich ist das alles sehr nachvollziehbar und kommt mir auch gar nicht so lange vor, es dauert ja auch alles seine Zeit. _T: Wir mussten einfach auch mal wieder eine Pause machen, um den Akku aufzuladen und wenn man das alles so zusammenrechnet, waren wir effektiv ja nie wirklich weg. Sollte auch kein Affront in Richtung Untätigkeit sein. _A: Nee, nee ich versteh das schon. Neulich

Bandmomente, weil wir überhaupt mal ­zusammen waren. Denn wir sind seit ­einem Monat eigentlich nur noch getrennt unter­ wegs – die einen machen Interviews, die ­anderen machen an der Platte noch rum und wieder andere machen „BeatTv”. Da sieht man sich eben kaum noch, und somit war das mehr als nur eine Probe. _T: Auf jeden Fall, es hat geschneit, alle waren zusammen, alle haben unheimlich viel gelacht und somit war es eigentlich ein ziem­ lich perfekter Abend. Die nächste immer wieder aufommende Frage: Wie habt ihr die 3 Jahre nach „Limbo Messiah“ gefüllt?

stand auch irgendwann eine Schlagzeile von wegen ‚nach vier Jahren kommen sie zu­ rück‘. Da denkt man sich schon: „krass“ aber das ist auch irgendwo logisch. Die Leute­ sehen­eben von der einen Platte­zur nächs­ ten Platte­aber können ja gar nicht den Überblick­darüber haben, was so alles passiert. Und wir sind ja nun auch keine 22 mehr, Kinder werden geboren und es ist einfach viel los. Und da wir ja auch so viel Zeit miteinander­verbringen ist eben Musik zwar ein wichtiger aber nicht der wichtigste Aspekt.

„Milk & Honey“ ist erschienen und klingt auf den ersten Horch recht poppig,­wenn man das so sagen darf, ohne dass es als Klatsche verstanden wird. Ist der Sound auf euer neues Album­„Boombox“ übertragbar oder eher nicht? _T: Ich denke schon. Wenn jetzt poppig

nicht bedeutet, dass man keine Gitarre mehr ­benutzen darf, dann auf jeden Fall. _A: Also Pop ist für uns überhaupt kein Schimpfwort. Wir lieben Popmusik, wenn auch die etwas speziellere. Vielleicht liegt das an den 80ern, da war das, was in den Charts Beatsteaks

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war alles gar nicht so blöde wie das, was man da heutzutage findet. Aber vielleicht versteht man das ja auch einfach alles nicht mehr. Ich finde nunmal, wenn man sich so zwei große Popstars der Dekaden anschaut, dass Rhianna nicht wirklich was auf dem Kasten hat im Ge­ gensatz zu Prince, denn der hat ne Menge auf dem Kasten. Aber natürlich gibt auch heute gute Leute: „Bionze” zum Beispiel (Beyon­ ce), die hat auch einiges drauf. Allerdings bleibt Pop für mich was Britisches: Beatles, Smiths, Madness, Specials… und Rock ist eben Amerikanisch und dann gibt es den riesigen Berg alternativer Musik, in dem wir dann wohl zu finden sind. Aber wir stecken uns nicht so gern in eine der Kategorien, ­wobei Milk and Honey definitiv Beatsteaks von der leichten Seite zeigt. Wir streben ­mittlerweile aber eben nach dieser gewissen Eingängig­ keit, denn laut und schnell hat sich so lang­ sam erschöpft und wir schauen eben was geht ­außerhalb dieses „wahhhawh­hahahah“ und sind sehr glücklich und dankbar wenn das auch funktioniert, denn ­meistens fliegen wir damit auf die Fresse. Wie seid ihr darauf gekommen, eure erste Single als Interpretationsspiel­ wiese anzubieten? _A: Irgendwann kurz vor so einer Veröffent­

lichung steht halt die Plattenfirma vor dir und zeigt dir einen schön ausgedachten Pro­ motionplan, so mit TV Werbung von wegen heißeste Rockband und so und da haben wir gleich gesagt „Moment! Wir machen das ganz 38 | Beatsteaks

anders!“ Dann kommen wir eben auf ­solche Ideen, die Noten des Songs zu veröffent­lichen und die Leute damit machen zu lassen wor­ auf sie Bock haben. Es war ja auch mehr als eine Art Gag gedacht, wes­wegen wir auch überwältigt von den ­Reaktionen waren. Wir haben damit überhaupt nicht gerechnet und fanden es großartig, dass sich so viele Leute­ dafür hingesetzt haben. Im Großen und ­Ganzen denke ich dass diese Aktion unse­ ren Humor, unsere Attitüde und wofür wir stehen ganz gut transportiert. Und wonach habt ihr letztlich die bei­ den Gewinnerfassungen ausgewählt? _A: Das war ganz einfach. Wir haben uns

im Proberaum getroffen, jeder kannte die Varianten und die beiden fanden eben alle einstimmig super und dann stand die Ent­ scheidung.

Für die letze Frage hab ich mal etwas Interaktives mitgebracht. Gucken und raten. Damals als wir uns noch nicht so gut kannten wie jetzt, sind diese Bilder entstanden. Wie ihr unschwer erkennen könnt, seid ihr das, nur auf welcher Bühne?

_T: Ahhh, ich weiß das. _A: Ich auch. Ich weiß wo das ist … Ich weiß

wo das ist … Also jedenfalls ist es nicht in Deutschland … Aber zeig nochmal bitte … _T: Ist das in dieser englischen…


_A: Genau es ist England. _T: ist es in einer Universitätsstadt? Nee … _A: Ist es das Barfly? Nee, es ist dieses

Schweine-­heiße Konzert. Das war der wahn­ sinn… _T: Ist es Southhampton?

Neben dem Schutz vor Schneeflocken auf dem Kopf kann dein Basecap sicher noch eine ganze Menge mehr … ( Arnim trägt ein London-Basecap) _A: London! _T: Ach das Underworld! Klar! _A: Fuck, na klar! Und du warst da, wie hat‘s

dir denn gefallen?

Spitzenmäßig. _A: Fand ich auch. Als ich in dieser wirklich kleinen, ­rotzigen Keller-Lokalität zu eurem Kon­ zert war, sind die Leute auf die unabge­ sperrte, niedrige Bühne gestiegen um in die Masse zu springen, der Schweiß tropfte kondensiert von der Decke und du Arnim hingst irgendwann singend und brüllend am Geländer inmitten der paar hundert Leute. Da fragte ich mich schon, ob das ­ eigentlich mehr euer Ding ist als die stadion­großen Gigs? _T: Wir haben ja den großen Luxus,

­immernoch beides machen zu dürfen. _A: Wir bespielen ja nicht nur noch große Bühnen wie die Wuhlheide. Auch wenn die Konzerte auch europaweit langsam größer werden und es natürlich auch in London bald das Wembley Stadion sein wird (lacht). Aber wenn es so weit ist dann fahren wir eben nach China und fangen da wieder an, in den kleinsten Schuppen für 10 Leuten zu spielen. Klingt als wäret ihr bereits in einem Milch und Honig fließenden Zustand angekommen… _A: Wir haben das erreicht, was ich mich vor

Festivals in Deutschland zu sein. Oder, erzähl ich Quatsch? _T: Ach! Als ich damals mit dem Badmin­ tonschläger AC/DC nachgemacht habe? Im Leben nicht! _A: Ich hätte dir damals den absoluten Erfolg als einen Moment beschrieben, in dem man um die Welt fahren kann und überall 1.000 Leute kommen um dich spielen zu sehen.­Das hat mich damals als wir mit g­ roßen ­englischen Bands gespielt haben immer u­ ngemein beein­ druckt. Und wenn man sich unserer Weltrei­ sen bisher anschaut, dann h ­ aben wir das mitt­ lerweile erreicht. Das Glück hat uns einfach extrem zugespielt und unsere Dickköpfigkeit hat den Rest getan. — Hat nachgefragt: Leonie Möhring Fotos: Alexander Gnädinger (S. 34/36), Daniel Josefsohn (S. 38 farbe), Leonie Möhring (S. 38 s/w)

DISKOGRAFIE Alben 48/49 (1997) Launched (2000) Living Targets (2002) Smack Smash (2004) .limbo messiah (2007) Kanonen auf Spatzen (2008) Boom Box (2011)

TOURDATEN 02. März 2011 Saarbrücken, E-Werk 05. März 2011 A/Wien, Gasometer 07. März 2011 CH/Winterthur, Eishalle Deutweg 09. März 2011 Frankfurt, Jahrhunderthalle 10. März 2011 Erfurt, Thüringenhalle 12. März 2011 Ludwigsburg, Arena 14. März 2011 Münster, MCC Halle Münsterland 15. März 2011 Bremen, Halle 7 16. März 2011 Hannover, AWD Halle 18. März 2011 Bamberg, Jako Arena 19. März 2011 Dortmund, Westfalenhalle 22. März 2011 Hamburg, Sporthalle 24. März 2011 München, Olympiahalle 25. März 2011 Leipzig, Arena 26. März 2011 Bielefeld, Seidenstickerhalle 11. Juni 2011 Berlin, Wuhlheide 02. Juli 2011 Dresden, Filmnächte am Elbufe

10 Jahren noch nicht mal getraut hätte zu formulieren. Niemals hätte ich mir erträu­ men lassen, Headliner auf einem der größten Beatsteaks

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Kraftklub Mega! Mega!

40 | Kraftclub / Mega!Mega!


Kraftklub und Mega! Mega! supporten die Beatsteaks auf Tour

D

as ist doch mal ein dreifacher Grund zur Freude. Die Beat­ steaks kommen auf Tour. H ­ urra! Und um sicher zu gehen, dass der Laden schon richtig kocht, wenn sie die Büh­ ne betreten, haben die Berliner AlternativeUrgesteine sich gleich mal zwei schmucke Bands gekrallt, denen sie den verantwor­ tungsvollen Posten übertragen haben, die Menge vorzuköcheln. Kraftklub aus Chem­ nitz. Hurra! Mega! Mega! aus Berlin. Hurra! Ein dreifaches Hurra also für diesen ge­ glückten Coup des guten Geschmacks. Und generationsübergreifend funktioniert das Ganze auch noch – sind die Chemnitzer Jungs (äh, Pardon, Karl-Marx-Stadt heißt das natürlich) aus dem Kraftklub zum Teil doch gerade mal süße zwanzig Jahre alt. Mag sein, dass den Taktschnitzeln (wie unsere Le­ onie sie beim Interview getauft hat) zu Ohren gekommen ist, wie gut das als Support von Fettes Brot funktioniert hat. Da MegaMe­ gahaben Kraftklub Ende letzten Jahres zum Teil regelrechte Begeisterungsstürme ent­ facht. Gut, das eine oder ander Buh haben sie auch kassiert, aber wer den Mut hat, auf Berliner Bühnen musikalisch “Ich will nicht nach Berlin” kundzutun, der nimmt das gerne in Kauf. Bleibt die Frage, ob Kraftklub auch beim heiß ersehnten Berlin Heimspiel dabei sein werden?

Wir freuen uns natürlich ganz besonders, dass Mega! Mega! das Konzert in Saarbrü­ cken eröffnen werden. Haben wir doch schon immer gesagt, dass die super sind. Und wir sind ganz guter Dinge, dass das Gros der Beatsteaks Fans das ebenso erkennen wird. Bleibt zu hoffen, dass Mega! Mega! bis dahin ihr Album fertig bekommen, damit sie mit Edding am Hosenbund bewaffnet gepflegt am Merchandise abhängen können. Das wird Mega! Echt mal. — Gabi Rudolph

DISKOGRAFIE Kraftklub Alben Adonis Maximus (2010)

Beatsteaks auf Tour mit Kraftklub 04. März 2011 A/Wien, Gasometer 05. März 2011 A/Wien, Gasometer 07. März 2011 CH/Zürich, Vokshaus 09. März 2011 Frankfurt a.M., Jahrhunderthalle 10. März 2011 Erfurt, Thüringenhalle 12. März 2011 Ludwigsburg, Arena

Beatsteaks auf Tour mit Mega! Mega! 02. März 2011 Saarbrücken, E-Werk

Kraftclub / Mega!Mega! |

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„Wir können nicht anders und wir können nichts anderes.“ 42 | Fettes Brot


Fettes Brot Fettes Brot

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Zwei Live-Alben parallel in den deutschen Top 10, die erfolgreichste ­ Tour der 18 jährigen Bandgeschichte – ­Fettes Brot machten im letzten Jahr mit sicheren Midas-Händen alles zu Gold, was sie in die Finger bekamen. 2010 – Das Jahr der Brote. 44 | Fettes Brot

Als wir im Oktober die Band zum Ge­ spräch treffen, ahnen wir noch nicht, dass es ein Abschiedsinterview werden wird. Ein Abschied auf unbestimmte Zeit? Für immer? Es bleibt Hoffnung. Und viel Schönes, auf das man zurück blicken kann.


G

roßes findet man bekanntlich oft dort, wo man es am wenigsten vermutet. Im Hin­ ­ terhof eines unscheinbaren Gebäudekom­ plexes in Hamburg klemmt hinter einem Fenster ein Zettel, der darauf hinweist, dass sich hier die Studios der Band Fettes Brot befinden. Das nennt man wohl gepflegtes Understatement. Als wir durch die Gittertür eintreten, kommt Björn Beton auf uns zu und begrüßt uns freundlich. König Boris und Dokter Renz fläzen sich im Hintergrund auf grünen Ledersesseln, aber auch sie erheben sich so­ fort, und es werden reihum Hände geschüt­ telt. Von innen fallen die Räumlichkeiten auch nicht protziger aus. Eine Küchenzeile, ein Esstisch, an der Wand ein Klavier auf dem jemand, den Noten nach zu urteilen, zuletzt die „Songs of David Bowie“ gespielt hat. Nicht wirklich „Bling Bling“. „Wir können euch noch nicht mal einen Tee anbieten“, entschuldigt sich Björn Beton, als wir uns setzen. Macht nichts, schließlich habe ich gerade erst ei­ nen halben Liter Cola getrunken. „Na das ist doch was.“ Er grinst. „So wertvoll wie ein kleines Steak.“ Auf den zweiten Blick fällt auf, dass alle drei nicht besonders frisch aussehen. Björn Beton trägt keine Brille und blinzelt noch ein wenig verschlafen. Dokter Renz hält sich Halt suchend an seiner Kaffeetasse fest und König Boris sieht ebenfalls etwas blass aus. Stimmt, da war doch etwas. Am Vor­ abend haben Virginia Jetzt ihr Ab­ schiedskonzert gegeben, und ich habe gehört, Fettes Brot hätten der befreun­ deten Band einen Gastauftritt beschert.

„Woher weißt Du das denn schon?“ fragt Dokter Renz. Ja, ich bin gut informiert. Ich helfe auch gerne aus, wenn Fettes Brot im Lauf des Gesprächs mit Monats- und

Jahreszahlen durcheinander kommen. Denn wir möchten gerne wissen, wie es war. 2010, dieses von außen betrachtet­ so unglaubliche Jahr. Das Jahr der Brote.­ „Ist das jetzt die erste und letzte

­Frage des Interviews?“ fragt Björn Beton. Und schon sind wir mittendrin.

„War das dieses Jahr?“ „Ich finde Jahresrückblicke schwierig, weil ich nicht so wirklich in Jahresabschnitten­lebe. Deshalb muss ich mich immer anstrengen­ mich zurück zu erinnern, wann genau was war,“ sagt Björn. Ja, das merkt man. „War das dieses Jahr?“ fragen die drei sich des öfteren untereinander. Zur Orientierung stehen vier Videodrehs, zwei Touren, ein Festivalsommer und die Veröffentlichung der beiden Live-Al­ ben „Fettes“ und „Brot“ zur Verfügung. Jetzt müssen wir das alles nur noch in die richtige Reihenfolge bekommen. Im rekordkalten Winter begann das Jahr mit dem Videodreh zur Neuauflage des 1996er Hits „Jein“. Das Western-Thema des Originalvideos wurde von Regisseur Daniel Warwick für das neue Jahrtausend zeitgemäß aufgepeppt und der Drehort vom kuschelig warmen Mexiko ins bitterkalte Branden­ burg verlegt. Nix Spezial-Effekte, der Schnee im Video ist echt. „Wir haben wahnsinnig gefroren“, erzählt Björn Beton. Dokter Renz unterbricht ihn. „Außer dir, du warst wenigs­ tens in Alu Folie gewickelt.“ Auch beim kurz darauf in Hamburg gedrehten Video zur zweiten Single „Kontrolle“ – (bei dem Björn Beton erstmals -Regie führte) – wurde kräftig gefroren. Das Besondere an diesem Video: Fans der Band konnten aktiv, nicht nur als Statisten an den Dreharbeiten mitwirken. Mit Handy- und Fotokameras steuerten sie auch Bildmaterial bei, das zum Teil im fertigen Video zu sehen ist. Ich stelle­fest, dass trotz eisiger Kälte – die meisten Fettes Brot

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Fans beim Außendreh – keine Hand­ schuhe trugen. „Wir haben heißblütige

Fans“, e­ rklärt mir Dokter Renz. „Wann kam dann gleich nochmal das ­Album raus?“ fragt Björn Beton. „Im März würde ich sagen“, meint Dokter Renz. F ­ ebruar, meine ich. „Februar, März“, sagt er und sieht mir offensichtlich an, dass ich mir sicher bin. „Februar. Du weißt es.“ Gut, es war der 26. Februar. Irgendwie haben wir beide recht. Wie auch immer, danach ging er erst richtig los, der Wahnsinn.

„Der Status Quo Fettes Brot 2010 in Bronze gegossen“ „Wir sind übrigens die erste Band seit 20 ­Jahren, die mit zwei Alben gleichzeitig in den Top 10 war. Das nur mal so, ein b ­ isschen Angeberei nebenbei“, sagt König Boris. Guns N’ Roses waren es, denen dieses Kunst­ stück zuletzt mit ihren „Use Your Illusions“ – Alben gelang. Und jetzt also Fettes Brot mit ihren beiden Live-Alben, dem blauen und dem orangen, aufgezeichnet während der Touren 2008 und 2009. Über 500 Aufnah­ men gab es, von denen 31 es auf die zwei CDs geschafft haben. Für die Auswahl zeichnet André Luth verantwortlich, der noch wäh­ rend der Tour, oft unmittelbar nach dem Auf­ tritt, die Aufzeichnungen auswertete und die besten Aufnahmen herauspickte. „Man ist ja nicht so richtig objektiv wenn man sich selber zuhört, von daher ist es ganz gut, wenn das jemand macht, der ein bisschen Abstand hat und man nicht Gefahr läuft, sei­ nen eigenen Eitelkeiten zu erliegen“, begrün­ det König Boris diese Vorgehensweise. Dass das Endergebnis sich durchaus sehen lassen kann, darin sind sich alle einig. „Wir haben gemerkt, jetzt ist der Zeitpunkt, die Musik, die wir live spielen auch nochmal auf P ­ latte her­ auszubringen. Weil sie sich so u ­ nterscheidet von dem, was wir ursprünglich auf den Alben 46 | Fettes Brot

bei den gleichen Liedern ­gespielt haben“, sagt Dokter Renz. „Der ­Status Quo Fettes Brot 2010 in Bronze gegossen – da gab‘s bisher keinen passenderen Zeitpunkt für. Es war ein langer Weg, bis es fertig war, aber es hat sich gelohnt. Klar haben wir hin und wieder dar­ über geredet ob jetzt diese oder jene Version geiler war, aber eigentlich hatte André ein feines Gespür dafür.“ Es folgte der erste Teil der Tour, und zur Überraschung aller entwickelte sie sich zur erfolgreichsten der Band­ geschichte. Viele Konzerte waren im Eil­

tempo ausverkauft, andere mussten in ­größere Hallen verlegt werden – und waren am Ende trotzdem ausverkauft. So zum Beispiel das Konzert in Köln, das letztendlich in der aus­ verkauften Lanxess Arena stattfand und mit 15000 Zuschauern zum bis dato größten Hallenkonzert der Band avancierte. „Anfangs hat uns das alles irritiert und ­irgendwann nur noch gefreut“, erzählt Dok­ ter Renz. „Das Schöne war, dass wir die groß­ artige Band Die Orsons dabei hatten, die das alles so souverän mitgemacht haben. Wir haben viel Tischtennis gespielt und abends tausende von Menschen glücklich gemacht. Viel mehr geht eigentlich nicht.“ „Stimmt“, sagt König Boris. „Und dann?“ Das Ausmaß dieses Erfolges haben sich Fettes Brot noch nicht so recht bewusst gemacht. So wie sie das alles erzählen, wirkt

es, als bräuchten sie noch etwas Zeit um zu realisieren, was dieses Jahr mit ihnen pas­ siert ist. „Wir haben natürlich gemerkt, dass die ­Leute das mögen, was wir machen“, sagt Björn ­Beton. „Auf der Tour waren wahnsin­ nig viele Leute da in riesigen Hallen. Es gibt natürlich Bands, die zwischendrin ein LiveAlbum herausbringen, das dann so unter ‚­ferner liefen‘ vor sich hin dümpelt und mehr was für ausgesprochene Fans der Band ist. Es ist unsere erste Live-Platte gewesen, die do­ kumentiert natürlich auch unsere Entwick­


lung als Band, gerade mit unseren M ­ usikern zusammen, die wir nun ja schon seit vielen Jahren dabei h ­ aben. Deshalb haben wir uns schon gedacht, dieses Album ist für uns was ganz Besonderes. “ Und König Boris fügt hin­ zu: „Den Erfolg kriegt man gar nicht richtig mit, wenn man so mitten drin steckt. Das sieht man erst mit ein bisschen Abstand. Klar sieht man, man spielt in vollen Hallen, aber man reflektiert das nicht so, weil man zu sehr damit beschäftigt ist, das, was man gerade vor der Brust hat, anständig über die Bühne zu bringen. So richtig drüber nachgedacht haben wir noch nicht. Ich glaube, nächstes Jahr im Frühling können wir nochmal da­ rüber ­sprechen, wie gut das Jahr war.“ Sehr

gerne. „Ist aber auf jeden Fall gut, solche Ge­ spräche zu führen, dann vergisst man nicht, was alles Gutes passiert ist“, sagt Dokter Renz und erntet damit viel Gelächter.

„Der Zweifel gehört dazu“ Im Sommer stand der Videodreh zur dritten Single „Falsche Entscheidung“ an, bei dem erneut Björn Beton die Co-Regie übernahm. Und da Fussball immer noch wichtig ist und zufällig gerade WM war, nutzte man die Ge­ legenheit, sich in Schiedsrichter-Outfits zu werfen und dabei nicht nur Knie, sondern gleich noch ein bisschen mehr Haut zu zeigen. Wenn die Dusch-Szene von einem Fettes Brot

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weiblichen Fan auf Facebook auch mit den Worten kommentiert wurde, sie müsse sich doch überlegen, ob sie sich wegen Fettes Brot scheiden lassen wolle – persönlich machen sich Fettes Brot um falsche Entscheidungen zum Glück nicht allzu viele Gedanken. „Selbst die Sachen, die Misserfolge waren oder die im Nachhinein betrachtet nicht so gut geworden sind wie wir uns das gewünscht haben, sind so, dass ich denke, das ist eine Er­ fahrung, die wir wohl machen mussten. Wir sind als Band ja durch das eine oder ­andere Tal der Tränen durchgegangen“, konsta­ tiert König Boris ohne Gram. Zweifel aber sind legitim und durchaus erwünscht, findet ­Dokter Renz. „Zweifel ist natürlich eines je­ den Künstlers Steckenpferd, der Zweifel ge­ hört dazu. Aber wenn wir eine Sache gemacht haben, können wir sie entweder rückwirkend als Erfolg einordnen und uns auf die ­Schulter klopfen oder aber sagen Mensch, hätte man auch nochmal anders machen können, war jetzt aber auch nicht so schlimm.“ „Aber wenn man ehrlich ist“, ergänzt König Boris, „der Haufen mit den Erfolgen ist doch deut­ lich größer als der mit den Misserfolgen.“ „Wie schön!“ ruft Björn Beton aus, und wir lehnen uns für einen Moment zurück, um diese Erkenntnis gemeinsam zu genießen. Es macht wirklich Spaß, sich mit ­Fettes Brot zu unterhalten. Von den vielen kleinen Witzen und Schlagfertigkei­ ten am Rande, die man von den dreien sowohl auf der Bühne als auch in Inter­ views gewöhnt ist mal abgesehen – es ist einfach eine Freude, mit wie viel Geduld und Spaß Dokter Renz, König Boris und Björn Beton nach 18 Jahren immer noch über ihr Schaffen sprechen.

Wie viele Interviews, wie viele Fragen in die­ sen Jahren zusammen gekommen sein müs­ sen, kann man sich schwer vorstellen. „Wir wurden schon richtig viele Sachen gefragt, auch absurde und solche, auf die wir nicht 48 | Fettes Brot

antworten wollten“, sagt König Boris. Aber gibt es auch etwas, das Fettes Brot noch nie gefragt wurde? Etwas, das vielleicht so nahe liegend ist, dass sie sich wünschen, man wür­ de ihnen diese Frage doch endlich einmal stellen? Zum ersten Mal herrscht Schweigen und kollektives Achselzucken. „Was für einen Mikrofon-Vorverstärker benutzt ihr eigent­ lich“, wirft Björn Beton schließlich ins Rund. „Über solche Fragen würde ich mich freuen.“ „Da musst du dich mal mit der Zeitschrift ‚Keyboard‘ unterhalten“, rät Dokter Renz ihm mit der für ihn typischen Mischung aus Schalkhaftigkeit und Ernst, und fügt abschließend hinzu: „Ansonsten fühlen wir uns nett ausgefragt und nicht über Gebühr strapaziert.“ Da freuen wir uns aber! „Virale Verunsicherung der Bevölke­ rung“

Im Oktober kursieren plötzlich seltsame ­Videos im Netz, die Fettes Brot bei einer Rei­ he mysteriöser Aktionen zeigen, wie dem Er­ klimmen eines Müllberges oder dem ­Stapeln von Autoreifen. Was es mit diesen Videos auf sich hat, wollen sie uns zum damaligen Zeit­ punkt nicht verraten. „Nur ein bisschen vi­


rale Verunsicherung der­ Bevölkerung“, formuliert Dokter­Renz es geheimnis­ voll, während Björn Beton es auf seine Art auf den Punkt bringt: „Einfach nur Unsinn kann man es auch nennen.“ Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. Als Ende Oktober das Video zu „Ams­ terdam“, der vierten Single des Jahres, erscheint, erge­ ben auch die albernen Clips plötzlich einen Sinn. „Amsterdam“ erschien erstmals 2008 als B-Seite der Single „Ich lass dich nicht los“ und entpuppte sich auf Konzerten als wahrer Publikumsliebling. Und obwohl das Jahr bis zu diesem Zeitpunkt an Irrsinn kaum mehr zu überbieten scheint (und immer noch ein zweite Tournee ansteht), hecken Fettes Brot etwas ganz Besonderes aus, um mit ihren Fans die Veröffentlichung der Sin­ gle zu feiern. Sie fahren gemeinsam mit 500 von ihnen nach Amsterdam, absolvieren auf dem Weg dorthin an einer Raststätte einen Kurzauftritt und geben Abends mit ­voller Bandbesetzung ein exklusives Clubkonzert. Für diejenigen, die das Glück ­hatten, bei ei­ ner der Gewinn­aktionen eins der begehr­ ten Tickets zu ergattern, wird der Trip nach Amsterdam zum Höhepunkt­des Jahres. Da

kann man sich schon insgeheim die Frage stellen: Was soll danach noch kommen? Hätten wir das mal nicht zu laut gesagt.

„Wir können nichts anderes­ und wir können nicht anders.“­

dass sie ab dem Jahr 2011 eine Schaffens­ pause auf unbestimmte Zeit einlegen. Nach dem Jahr der Brote nun die große Pause? Darüber wollen wir gar nicht nachdenken. Aber wer einen Rückblick auf 2010 wirft, dem dürfte einleuchten, dass Fettes Brot sich eine Auszeit verdient haben. Und so zeigen sich die meisten treuen Fans in ihren Kom­ mentaren auf der Internetseite der Band ver­ ständnisvoll und freuen sich erst einmal auf die zweite Tour in diesem Jahr. Was danach kommt ist ungewiss. Sollte es eventuell sogar ein Abschied für immer sein? Es gibt Hoff­ nung, dass dem nicht so ist. Denn wie sagte Dokter Renz so schön im Gespräch mit uns? „Wir können nichts anderes und wir können nicht anders.“ Bleibt nur noch danke zu sagen für 18 Fette Jahre. Dafür, dass wir damals auf unseren Abi-Parties zu „Nordisch By Nature“ getanzt haben und heute selbst unsere Kinder wissen, dass man die Finger besser von Emanuela lässt. Zum Glück sind wir nicht allzu nah am Wasser gebaut. Macht es gut, Jungs! — Interview: Gabi Rudolph Fotos: Jens Herrndorff

DISKOGRAFIE Alben Mitschnacker (EP) (1994) Auf einem Auge blöd (1995) Aussen Top Hits, innen Geschmack (1996) Fettes Brot lässt grüssen (1998) Fettes Brot für die Welt (2000) Demotape (2001) Amnesie – 16 Singles und Videos gegen das Vergessen (2002) Am Wasser gebaut (2005) Strom und Drang (2008) Brot (2010) Fettes (2010)

Am 19. November dann die große Über­ raschung. Fettes Brot veröffentlichen eine Pressmitteilung, in der sie bekannt geben, Fettes Brot

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Philipp Poisel „Warum soll man so einem Moment nicht die Ewigkeit verleihen?“ 50 | Philipp Poisel


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instieg auf Platz 8 in den deut­ schen Albumcharts, die laufende­ Tour fast ausverkauft – Philipp­ Poisel kann sich nicht über mangelnde Begeisterung für sein z­weiten ­Albums „Bis nach Toulouse“ beklagen. Als wir ihn im Sommer letzten Jahres zum In­ terview treffen, ahnt der 27 jährige Stutt­ garter noch nicht, welche Erfolgswelle­ auf ihn zurollt – und plaudert mit uns ganz entspannt über die Entstehung von „Bis nach Toulouse“, seine Heimat Stuttgart und natürlich über das zentrale Thema seiner Musik: die Liebe… Wie fühlt sich das an, das zweite ­Album, wo man doch so oft hört, dass gerade das am schwierigsten sein soll? _Philipp Poisel: In erster Linie bin ich mal

froh, dass es fertig ist. Ein stück weit Druck ist von mir abgefallen und ich freu mich, dass wir jetzt wieder eine Tour dazu machen und es ein Video gibt. Aber ich bin ja immer noch ziemlich beschäftigt, denn ich kann es nicht lassen in allen Bereichen mitzumischen und Hand anzulegen, ob es das Artwork ist oder das Video. Druck, der von außen kam? _P: Da redet mir eigentlich keiner rein. Ich

hab auch den Termin selbst festgelegt. Man hat den Druck ab dem Moment wo man sich entscheidet, ein zweites Album zu machen. Ab da ist man ständig damit beschäftigt. Was war diesmal anders bei den Auf­ nahmen zu „Bis nach Toulouse“? _P: Als ich die erste Platte aufgenommen

habe, da gab es eigentlich noch gar keine rich­ tige Band. Da haben wir Studiomusiker, die wir aus der Stuttgarter Szene kannten, dazu geholt. Diesmal hatte die Band schon mehr Einfluss auf die Raws und die einzelnen Parts. Was jetzt anders war: Ich konnte auch mal mit einer Idee ins Studio kommen und daraus entwickelte sich dann etwas. Auch eine Idee, die am Anfang noch gar nicht so stark oder

wertvoll erschien, aber dann im Arrangement so gut geklungen hat, dass ich dann gesagt hab: Ey, da müssen wir was draus machen!

Die Stimmung auf dem Album ist ja wieder sehr gefühlvoll, ein bisschen melancholisch und vor allem ernsthaft. Da überrascht es doch, dass der Song „Froh dabei zu sein“, der das Thema Angst vor dem Tod beinhaltet, musi­ kalisch am leichtesten daher kommt. _P: Das ist natürlich keine unmittelbare, son­

dern eine reflektierte Aussage, die man auch erst mit etwas Abstand treffen kann. Aber Dankbarkeit ist schon auch ein Grundgefühl von mir. Ich merk auch in Momenten, in de­ nen ich verzweifelt bin, dass ich dann nicht wütend oder frustriert bin, sondern, dass da schon immer noch so eine Dankbarkeit da ist. Natürlich frage ich mich, warum passie­ ren bestimmte Sachen und wozu sind wir ­eigentlich hier. Aber ich lass mir meine Laune dadurch nicht vermiesen! Ich bin halt froh, hier dabei zu sein. Dabei strahlt der Song natürlich keine helle Freude aus, sondern eher eine leise Dankbarkeit. Du verstehst es halt, auch ernste The­ men anzupacken… _P: Ich wünsche mir da einen natürlicheren

Umgang, auch mit dem Thema Tod.

Das große Thema bei dir von Anfang an: die Liebe. Erfüllt oder unerfüllt, ein­ fach oder dramatisch. Es wünscht sich doch jede Frau einen Mann, der seine Gefühle so gut zum Ausdruck bringen kann. Kannst du das nur durch die Mu­ sik oder auch im direkten Gespräch?­ _P: Musik ist für mich so ein Feld, wo ich

aussprechen kann was ich fühle, wenn es im ­echten Leben schwieriger wird. Bei „Wie kann ein Mensch das ertragen“ geht es zum Beispiel darum, dass man jemanden mehr mag als nur freundschaftlich. Und weil es offiziell so ist, traut man sich nicht etwas zu sagen, weil man Angst hat, der andere entfernt sich dann. Philipp Poisel |

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Da ist die Musik auf jeden Fall ein Weg für mich, so etwas zuzulassen. Womit ich ­eigentlich recht wenig Probleme habe, ist, mal Schwäche zu zeigen oder auch zu sagen, wie es mir geht. Ich mach da in meinem Leben keinen Hehl draus.

Da musst du doch viele Briefe von weib­ lichen Fans bekommen, oder?! _P: Das beruht natürlich alles auf der Seite,

die ich von mir zeige und die man von mir kennt ,und deshalb gibt mir das eigentlich nicht besonders viel. Natürlich schmeichelt es mir und ich freue mich über Komplimente, aber es ist natürlich eine sehr einseitige Be­ trachtung. Dessen bin ich mir auch bewusst. Was mir wirklich etwas bedeutet, findet dann im zwischenmenschlichen Miteinander im Alltag statt, wie bei jedem anderen Menschen auch. Ich habe schon bemerkt, dass so ein Feedback einen beeinflussen kann, ob man es will oder nicht. Mit Sicherheit will man gefallen, aber im Endeffekt will man ja nur einer Bestimmten gefallen.

Du bist der Meinung zu viele Einflüsse von außen, lenken oft von dem ab, was man eigentlich machen möchte… _P: Das gilt eigentlich für sämtliche Sachen.

Man ist doch dann am natürlichsten, wenn 52 | Philipp Poisel

man sich am wenigsten Gedanken über etwas­ macht. Ich erlebe natürlich auch selbst, dass ich von Sachen begeistert bin und mir denke:­ So was will ich auch gern mal machen. Aber dann merke, dass ich ab diesem Moment anfange irgendetwas zu kopieren. Es macht überhaupt keinen Sinn etwas anderes­zu ver­ suchen, als aus einem selbst heraus kommt. Allein schon meine Entscheidung in Stutt­ gart zu leben rührt auch daher. In einer­Stadt wie Berlin wäre ich sicher zu sehr abgelenkt, auf jeden Fall in der Phase in der ich Musik mache. Aber in welcher Stadt könntest du dich als Weltenbummler noch wohl fühlen? _P: Also London ist definitiv immer noch so

eine Stadt. Oder in Skandinavien, zum Bei­ spiel in Stockholm, könnte ich mir vorstellen zu leben. Das wäre ziemlich großartig. Es gibt aber auch Tage, da würde ich gern im Süden irgendwo am Strand sein. Ich habe gerade neulich meine ersten Surfversuche gemacht. Dabei merke ich aber auch immer, dass ich eigentlich nie wirklich lange irgendwo bleiben kann. Dafür ist Stuttgart eigentlich ganz ok. Dort habe ich meine vier Wände und kann von da aus ausschwärmen. Reizt dich Berlin denn gar nicht?


_P: Wenn ich jetzt einen Job hätte, bei dem ich nur in Stuttgart wäre, dann würde ich wahrscheinlich auch eine Krise kriegen. Aber dadurch, dass ich sowieso viel unterwegs und oft auch in Berlin bin und viele Leute treffen­ kann, habe ich überhaupt kein Bedürfnis hier­ her zu ziehen. Ich will das nicht ausschließen, aber ich glaube, dass ich in Stuttgart besser arbeiten kann. Als Straßenmusiker, so wie früher, warst du ja nun länger nicht mehr un­ terwegs. Hast du da nicht mal wieder Lust drauf? _P: Auf jeden Fall! Es ist so, dass ich so frei

bin wie nie zuvor in dem was ich mache. An­ dererseits trage ich inzwischen eine große Verantwortung. Wenn ich früher nicht ins Studio gegangen bin, habe ich schließlich nur mir selbst geschadet. Heute kann ich meinen Wochenplan nicht mehr über den Haufen schmeißen und einfach losziehen. Und auch die Momente, in denen nicht so viel los war und ich hätte losfahren können, gab es in den letzten zwei Jahren sehr wenig. Ich hab aber schon vor, dass sich das wieder ändert. Zurück zum Album. Welcher ist denn eigentlich dein persönlicher Lieblings­ song? _P: Ich werde manchmal selber zum Zuhörer

und da geht es mir dann wie jedem anderen, der die Platte hört, auch. Nämlich, dass ich in dem Moment dafür offen sein muss und dann erreicht mich ein Song viel mehr bzw. habe ich ja auch meine eigenen Erinnerun­ gen zu diesem Song. „Liebe meines Lebens“ ist einer, den ich erst gar nicht drauf haben wollte. Mit Abstand betrachtet dachte ich, dass man ja gar nicht wissen kann, was da alles noch so kommt. Ich hab dann erst später­ den Song selbst besser verstehen können, komischerweise. Es geht nicht unbedingt ­ um eine reell gelebte Beziehung, sondern um eine Liebe, die mir innewohnt und die mich noch sehr lange und vielleicht sogar bis

zum Ende meines­Lebens beschäftigen wird. Aber in dem Moment war mein tatsächliches Gefühl so: Da geht jetzt nichts mehr drüber! Und ­warum soll man so einem Moment nicht diese Ewigkeit verleihen? — Interview: Katja Mentzel Fotos: Lina Scheynius

DISKOGRAFIE Alben Wo fängt dein Himmel an? (2008) Bis nach Toulouse (2010) Singles Wo fängt dein Himmel an? (2008) Ich & Du (2008) Halt mich (2008) Mit jedem Deiner Fehler (2009) Als gäb's kein Morgen mehr (2009) Wie soll ein Mensch das ertragen (2010) Bis nach Toulouse (2010) Zünde alle Feuer (2010)

TOURDATEN 07. Februar 2011: Kassel, Nachthallen (AUSVERKAUFT) 08. Februar 2011: Hannover, Capitol (AUSVERKAUFT) 09. Februar 2011: B raunschweig, Meier Music Hall (AUSVERKAUFT) 11. Februar 2011: Magdeburg, Factory (AUSVERKAUFT) 12. Februar 2011: Bremen,VERLEGT NACH: Pier 2 13. Februar 2011: Hamburg, Docks (AUSVERKAUFT) 15. Februar 2011: Mannheim, Alte Feuerwache (AUSVERKAUFT) 16. Februar 2011: Ulm, Roxy (AUSVERKAUFT) 21. Februar 2011: München, Muffathalle (AUSVERKAUFT) 22. Februar 2011: N ürnberg, VERLEGT NACH: Löwensaal (vom Hirsch) (AUSVERKAUFT) 23. Februar 2011: Dresden, Alter Schlachthof 25. Februar 2011: Potsdam, Waschhaus Arena (AUSVERKAUFT) 26. Februar 2011: B erlin, VERLEGT NACH: Columbiahalle (vom Astra) (AUSVERKAUFT) 28. Februar 2011: Leipzig, Haus Auensee 01. März 2011: Erfurt, Stadtgarten (AUSVERKAUFT) 03. März 2011: Stuttgart, Theaterhaus (AUSVERKAUFT)

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s war letztes Jahr im Hochsom­ mer, als ich Erdmöbel getroffen habe, um mich mit ihnen über ihr neues Album „Krokus“ zu unterhalten. Trotz Hitze und Interview-­ ­ Marathon waren Markus Berges, Ekimas, Proppe und Chris deWueb gut gelaunt. „Wir haben uns ja längere Zeit zurück gezogen, da ist es schön, mal wieder so viel Aufmerk­ samkeit zu bekommen“, sagte Ekimas damals. An Aufmerksamkeit sollte es Erdmöbel nach dem Erscheinen von „Krokus“ im letz­ ten Jahr nicht mangeln. Das Album wurde begeistert aufgenommen und fleißig bespro­ chen. Mehr als einmal wurden Erdmöbel als „Die Band die alles richtig macht“ bezeichnet. Dem schließen wir uns gerne an. Und führen uns und euch noch einmal das Gespräch vom letzten Jahr vor Augen. Weil’s so schön war.

die am Ende gut sein mussten. Das war schon eine lustige Erfahrung für uns. Aber dann… eigentlich war’s schön, wieder zurück zu kehren zu dem, was wir eigentlich können, nämlich selber Musik machen, die sich nicht daran orientiert, was es schon gibt. Es heißt ja, ihr habt eine sehr bewähr­ te Arbeitsteilung. Du, Markus, fängst an, schreibst die Stücke und Ekimas nimmt sie im Anschluss auseinander. _E: Ich hab das meistens nicht vor, aber ich

mache etwas damit und gucke, wo mich das hinbringt, mit allem was dazu kommt an In­ strumenten und so. Das ist nicht so geplant. Das Prinzip ist, dass überraschende Sachen passieren sollen. Man hört das hinterher an den Aufnahmen auch, dass da viele Sachen sind, die eben nicht so den Konventionen ent­ sprechen. Wir haben ganz selten Sachen drin

„Einfach mal loslassen” „Krokus“ ist nach dem letzten Album “No. 1 Hits” wieder ein Album mit ­eigenem Material von euch.

_Markus Berges: Das war ein wichtiger Ansatzpunkt. Diese Coverei war eine schöne Entdeckung, ein bisschen eine Zufallsentde­ ckung über die erste Coverversion auf dem „Für die nicht wissen wie“ Album. Dann ha­ ben wir es aber ziemlich weit damit getrieben, muss man sagen. Das war allerdings das Vor­ haben, wir wollten es auch sehr weit treiben. _Ekimas: Wir wollten eben auch Sachen machen, die wir nicht gut finden. Da sind ja auch Stücke drauf, die kein Mensch gut findet, die wir dann eben gespielt haben und

die man spielen würde, wenn man einfach nur klimpert. Es gibt oft welche da sind Rei­ bungen, die haben da und dazu geführt. Man kann das vielleicht so schlapp erklären, aber in Wahrheit ist es sehr irrational, was passiert, eine sehr emotionale Herangehensweise. Das Ganze dann auch noch mit dem Computer gepaart – ein Computer ist ja rein rational. Da kriegt man das Ganze knallhart dargestellt auf dem Bildschirm. Trotzdem sind ganz viele Sachen dabei wo ich denke, das weiß ich nicht, wie ich dazu gekommen bin, das ist ja komisch, ach du jemine! Die Sachen sind ganz anders geworden, als Markus sie vorgegeben hat, bis auf ein, zwei Aufnahmen. Erdmöbel |

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Was ist beim Schreiben zuerst da: Der Text oder die Melodie? _M: Meistens habe ich eine Melodie. Ich habe

mich erst mal mit der Gitarre hingesetzte­. Das Besondere war diesmal, dass Christian zusammen mit Eki Grooves aufgenommen hatte, die habe ich als Vorlage genommen. Dazu habe ich gespielt und Ideen gehabt. Das war schön, weil mich das auch auf andere Ideen­gebracht hat, als ich sonst entwickelt hätte. Sonst wär vielleicht die eine oder andere­ Ballade mehr auf dem Album drauf gewesen. Das hat einfach das Tempo des Ganzen be­ stimmt. Es gab ein paar Sachen, wo ich erst einmal unabhängig am Text gearbeitet habe. Zum Beispiel „Arbeiten“ ist so eine Nummer, da hatte ich zwar eine ungefähre Vorstellung, hab aber auch separat am Text gearbeitet. Wobei dieser Text ja extrem spielerisch ist und mit Binnenreimen arbeitet. In der Regel ist also auch das Texten eine sehr musikali­ sche Arbeit. 56 | Erdmöbel

Ich muss zugeben wenn ich euch höre, höre ich natürlich, was Markus singt, löse mich aber automatisch vom Inhalt des Textes ab. Und freue mich dann, wenn so schöne einzelne Sätze zu mir durchdringen wie zum Beispiel „Das Haus hat geknistert und verpiss dich geflüstert.“ Könnt ihr das nachvollzie­ hen, bzw. findet ihr das in Ordnung? _E: Das geht ja uns, die wir die Texte ge­

schrieben haben, genauso. Uns ist es recht, wenn man frei ist, wenn man sie hört, weil es ist ja Musik. Dass man nicht am Inhalt klebt. Und ich glaube, wenn man den Text ein paarmal gehört hat, hat man den Inhalt dann ja doch mitgekriegt. Aber ich denke, dass man mehr so in eine unterbewusste Ge­ schichte geraten sollte, wenn man Musik hört. Bei guter Musik ist das so. Bei deutschen Tex­ ten, die man ja plötzlich verstehen kann, wird oft erwartet, dass dann auch eine wichtige Parole verkündet wird, dass eine Direktive


ausgegeben wird, dass man gesagt kriegt, was der Sänger meint. Dem haben wir uns immer verweigert.

Man kriegt bei euch oft das Gefühl, dass ihr Euch sogar einen Spaß daraus­ macht aus­zutesten, was man alles sin­ gen kann. Wie weit kann ich gehen, was klingt alles gut, wenn man es singt? _M: Ja klar. Das ist ja ein großer Spaß da­

bei. Zum Beispiel ein Wort wie NordrheinWestfalen zu singen. Das finde ich schon lustig in dem Moment, in dem es mir ein­ fällt. Gleichzeitig soll es natürlich nicht nur lustig, sondern auch schön sein. Die Freude an einzelnen Wörtern, die in einem Song aus­ zuprobieren. Auch wenn es jetzt schon viele Jahre deutsche Popmusik-Tradition gibt, ist ja das Schöne, dass so eigentlich kaum jemand arbeitet. Man kann da noch eine Menge aus­ probieren.

Was bei „Krokus“ auch auffällt, ist eine neue Energie, die ihr zum Teil in die Stücke einbringt. „Fremdes“ zum B ­ eispiel bezeichnet ihr ja selbst als Euer Hasslied auf Köln. War das eine neue Erfahrung für euch, aus Wut ­heraus zu schreiben? _M: Das war relativ neu, ja. Es war für uns

auch wichtig, insgesamt bei dem Album, dass wir eine gewisse Grundaggressivität haben wollten. Bei „Fremdes“ ist sie natürlich sehr ausgestellt und das soll auch so sein, aber ei­ gentlich ist sie aus meiner Sicht in allen Stü­ cken drin. Das war für mich auch beim Song schreiben diesmal eine große Inspiration. So wie in „Fremdes“ haben wir das vorher noch nie gemacht. Es geht aber auch nicht darum, Wut einfach auszudrücken. Der wütende Im­ puls, auf den habe ich in dem Song zurückge­ griffen. Also eher Wut zu erzeugen. Insofern

Erdmöbel |

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würde ich jetzt auch nicht sagen, dass ich die­ ses Album aus Wut heraus geschrieben habe. Es ist nämlich so, dass ich ein Mensch bin, der eher zu viel als zu wenig Wut empfindet. Deswegen ist es für mich auch persönlich in­ teressant, das zu tun. _E: Irgendwann waren wir in Köln unterwegs und haben erfahren, dass wegen des U-BahnBaus das Stadtarchiv zusammengebrochen ist. Da waren wir wirklich tagelang sauer, wirklich total sauer. Das ist eine extreme Er­ fahrung, und einen Song darüber zu haben ist gut, das kann jeder nachvollziehen, egal ob er in Köln oder Wismar oder sonst wo lebt. Parallel zu den Arbeiten am Album hast du, Markus, ja Deinen ersten ­Roman geschrieben. _E: Ja, und er war mit den Songs genau

so schnell, als wenn er das Buch nicht ge­ schrieben hätte. Genau so langsam, wollte ich ­eigentlich sagen (Gelächter). Könnte es sein, dass dadurch, dass du im gleichen Zeitraum an einem Prosa­ text geschrieben hast, die Songtexte noch ein wenig spielerischer geworden sind als sonst? _M: (überlegt) Gut, das könnte sein. Hab ich

so noch nicht gedacht. _E: Ich glaube, er hatte einfach Bock dazu. „Sunrise“ zum Beispiel war eins der letzten Stücke, da ist er eben sehr weit gegangen ­damit. _M: Insgesamt war der Ansatz bei diesem Album neben der Aggression, dass wir in ­einem positiven Sinne auch einfach mal los­ lassen wollten. Wir machen einfach genau das, was wir wollen. Auch beim Songwriting. Dass wir es nicht brechen wollten, dass wir nicht darüber nachdenken wollten ist das jetzt zu schwierig, zu unverständlich oder zu subjektiv. _E: Ich glaube allerdings nicht, dass die Platte dadurch schwieriger geworden ist. Eher ein­ facher. Überraschenderweise. 58 | Erdmöbel

_M: Im Vergleich dazu war die Romanar­

beit natürlich konzeptioneller, man brauchte einen­längeren Atem. Insofern steht das viel­ leicht auf etwas gegensätzliche Art schon in einem fruchtbaren Zusammenhang.

Habt ihr jeder einen persönlichen Lieb­ lingssong auf dem Album? Oder sogar einen gemeinsamen? (Kurzes Schweigen,

alle überlegen.) _M: Eigentlich alle den gleichen. _E: Welchen denn? _M: „Wort“(… ist das falsche Wort). _E: Das stimmt. Was besonders anrührend für uns ist, ist „Wort…“. Als Produzent hab ich die Sachen ja alle 200 Mal gehört, und ich finde jedes einzelne Stück toll. Ich hab dafür gesorgt, dass ich sie toll finde. Ich hab auch wirklich keins zu oft gehört und mag es jetzt nicht mehr. — Interview: Gabi Rudolph Fotos: Matthias Sandmann

DISKOGRAFIE Alben Das Ende der Diät (1996) Erste Worte nach Bad mit Delfinen (1999) Erdmöbel versus Ekimas (2000) Altes Gasthaus Love (2003) Fotoalbum (2004) Für die nicht wissen wie (2005) No. 1 Hits (2007) Krokus (2010)

TOURDATEN 11. Februar 2011 Dresden, Staatsschauspiel 12. Februar 2011 Hannover, Staatstheater 23. März 2011 Köln, litcologne (AUSVERKAUFT) 31. März 2011 Düsseldorf, Savoy Theater 08. Mai 2011 Erlangen, E-Werk 09. Mai 2011 Karlsruhe, Tollhaus


Foto: Lynn Lauterbach

Robyn @ Berlin Festival


Imelda May „Rockabilly is the kiss of death…“

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ie schönste Tolle der zeitgenös­ sischen Rockabilly-Szene ist noch nicht gewickelt. Imelda May trägt Kopftuch und einen Leoparden-Plüschmantel. Ich trage eine ­ ­Leoparden-Strickjacke, was mir in Anbe­ tracht derart geballter Leoparden-Power ein klein wenig peinlich ist, aber Imelda quietscht vor Begeisterung, als ich meinen Mantel aus­ ziehe. Sie fragt uns, ob wir etwas trinken oder essen möchten und schickt ihre Band aus dem Raum, damit wir in Ruhe reden­kön­ nen. Am Ende entschuldigt sie sich dafür, dass sie zu viel reden würde. Dabei sind wir ihrem Charme vom ersten Moment an restlos erlegen und hätten noch stundenlang weiter machen können.

Ich erinnere mich an einen Kommentar, den ich vor über einem Jahr auf Twitter­ gelesen habe: „Imelda May – The big­ gest star you’ve never heard of“  … _Imelda May: Oh, das ist süß! Wie kommt es, dass wir hier in Deutsch­ land bis jetzt eher wenig von dir gehört haben, während du in deiner Heimat Irland, in England und den USA hinge­ gen schon sehr bekannt bist? _I: Es ist das erste Mal, dass wir richtig hier

in Deutschland sind, wahrscheinlich ist das der Grund. Wir waren nur einmal kurz mit der Band in Berlin…

…bei der Rock’n Roll Party Night. Wir waren dabei. _I: Oh ja, richtig! Jetzt weiß ich auch woher

ich eure Gesichter kenne… (wir lachen) Ja, ja, ja! Ich erinnere mich immer an Leute aus dem Publikum. Das war ein ungewöhnlicher Abend, um das erste Mal hier aufzutreten. Es war sehr anders, aber toll! Wir haben als Band noch nie eine richtige Europa Tournee gemacht, immer nur einzelne Konzerte hier und da. Ich weiß nicht, vielleicht ist das der Grund, warum wir noch nicht so bekannt hier sind. Ich hoffe aber, dass sich das ändert.

Das wird es, bestimmt! _I: (lächelt bescheiden) Ach ja… Jetzt muss ich dich etwas fragen, da ich im Internet zwei verschiedene In­ formationen dazu gefunden habe. „Love Tattoo“ war dein erstes Album, das hier in Deutschland raus gekommen ist. Ich habe sowohl gelesen, dass du es auf deinem eigenen Label herausgebracht hast als auch du hättest zu diesem Zeit­ punkt bereits einen Vertrag mit Uni­ versal Music gehabt. _I: Nein, ich habe es auf meinem eigenen

­ abel herausgebracht, Ambassador. Es ist L das L ­ abel von meinem Mann Darrel, Cli­ ve, dem das Studio gehört, und mir. Als ich „Love ­Tattoo“ aufgenommen habe, hatte ich keinen Plattenvertrag. Ich habe mich mit ein paar Leuten getroffen und alle haben gesagt: „Sehr hübsch, aber wir verstehen es nicht.“ Es passte einfach in keine Schublade. Und dann war da die Sache mit dem Rockabilly. „Rockabilly musst Du loswerden“, haben mir alle gesagt. „Rockabilly is the kiss of death.“ Andere Leute wollten mich in die Jazz Ecke schieben und mir eine Blume ins Haar stecken. Das habe ich alles ja schon gemacht, ich habe in Swing Bands gesungen, aber das waren dann eben nicht meine eigenen Songs. Um es kurz zu machen, mein Ehemann und Clive haben einen Kuhstall auf einem Bau­ ernhof aufgetrieben und haben ihn mit ihren eigenen Händen in ein Studio umgebaut. Dort haben wir „Love Tattoo“ aufge­ nommen, ohne dass wir wirklich Geld dafür hatten. Ich konnte mir keinen Tontechniker leisten, also habe ich es selbst gemacht. Das Equipment, das wir haben ist alt, aber sehr gut, es hat funktioniert. Dann hat Jools ­Holland uns entdeckt. Er hat uns ins Radio geholt und in seine Fernsehshow. Plötzlich wurde alles total verrückt. Die gleichen Plattenfirmen, die vorher nein gesagt hatten, riefen plötzlich an. Eine davon war Universal. Sie haben gesagt: Imelda May |

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­ efühl festhalten, das entsteht, wenn wir G live spielen, die Aufregung, die Elektrizität, die die Leute bei unseren Live-Shows fühlen. Ohne zu viel zu ändern. Hat sich an deiner Freiheit, die Dinge genau so zu tun wie du sie möchtest, beim zweiten Album etwas geändert, jetzt mit einem Major Label im Hinter­ grund? _I: (überlegt) Ich hatte viel Freiheit… letzt­

„Okay, wir haben es erst nicht verstanden, aber jetzt haben wir’s kappiert. Möchten sie mit uns über einen Plattenvertrag sprechen?“ Und ich habe ja gesagt. Sie haben mir das Album dann abgekauft. Ich nehme an, da­ durch kommen die zwei unterschiedlichen Informationen zustande. Sie stimmen also beide irgendwie.

Dein zweites Album hört sich von Pro­ duktionswegen her ein wenig anders an als „Love Tattoo“. Hast du „Mayhem“­ auch wieder in eurem Kuhstall aufge­ nommen? _I: Ja! Ich wollte so weiter machen wie bisher.

Ich habe „Love Tattoo“ selbst produziert und „Mayhem“ auch. Das erste Album ist aber eher basic, ich wollte, dass es so klingt wie wenn wir als Band live spielen. Bei diesem Album wollte ich ein bisschen mehr daran arbeiten und gleichzeitig an das erste Album anknüpfen, mir ein paar mehr Gedanken über die Produktion machen. Es klingt vielleicht weniger live, aber ich wollte trotzdem das 62 | Imelda May

endlich. Es war schon anders, da ich noch nie ein Album auf einem Major Label gemacht habe und noch nie in der Situation war, je­ mandem an Ende präsentieren zu müssen, was ich gemacht habe. Das war schon eine neue Erfahrung. Die größten Bedenken hat­ ten sie, weil ich das Album selbst produzieren wollte. Sie wollten, dass ich mir einen Produ­ cer suche, und ich wollte selbst produzieren. Da ich das letzte Album bereits selbst ­produziert hatte wollten sie wohl, dass ich mich weiter entwickle. Aber ich wollte so weiter machen. Ich habe mich mit einigen Producern getroffen, aber niemand hätte es genau so gemacht, wie ich es wollte. Also habe ich mich einfach weiter mit Producern ge­ troffen, und während ich das getan habe bin ich einfach schon mal ins Studio gegangen und habe angefangen zu arbeiten – ohne es jemandem zu erzählen. Schließlich habe ich die Aufnahmen dem Label präsentiert und gesagt: „Das ist genau das, was ich machen möchte.“ Und sie mein­ ten nur: „Oh, das klingt gut! Aber triff doch bitte noch einen Producer.“ Ich meinte gut, kann ich machen, aber erst in drei Wochen. In der Zwischenzeit habe ich das Album fertig gestellt, und am Ende waren sie glück­ lich damit. Es gab aber auch gute, konstruk­ tive Kritik. Ich mag die Dinge gerne einfach, und an manchen Stellen haben sie gesagt: „Das ist uns jetzt doch ein bisschen zu ein­ fach.“ Ich habe überlegt und gedacht gut, da haben sie jetzt recht, das könnte wirklich noch


ein paar Background-Vocals oder extra Blä­ ser vertragen. Das einzige, was ich auf keinen Fall wollte, waren Gastmusiker, sodass es am Ende keine Bandplatte wird. Ich habe eine großartige Band und sah keinen Grund, die große Extravaganza daraus zu machen, mit lauter Leuten, mit denen ich niemals live spielen werde.

Du hast schon mit sehr vielen Musik­ größen zusammen gearbeitet. Was war für dich bis jetzt die tollste Begegnung, die beste Zusammenarbeit? _I: Also, ich liebe es mit Jeff Beck zu arbeiten.

man plötzlich an, sich komische Gedanken zu machen, hofft, dass man nicht der Länge nach hin fällt, seinen Text nicht vergisst… (lacht) Mich interessiert auch, wie du selbst Musik konsumierst. Besitzt Du einen iPod oder ähnliches? _I: Nein, ich habe keinen iPod. Ich habe etwas

Musik auf meinem Handy, aber das nutze ich mehr zu Übungszwecken. Wenn ich einen Song in meinen Kopf kriegen möchte, höre ich ihn so immer wieder an.

Er ist ein guter Freund und unterstützt mich und die Band sehr. Mit ihm zu arbeiten… er ist ein Genie. Spielst du Gitarre? Ich? Nein, leider. _I: Jeff tut Dinge auf der Gitarre, die eigent­

lich nicht möglich sind. Er hat mich gebeten, auf seinem Album „Emotion & Commotion“ zu singen. Ein tolles Album! Dann bin ich mit ihm und Dave Gilmour in der Royal Albert Hall aufgetreten. Kurz vor dem Gig spreche ich mit Dave und er sagt: „Ich bin so nervös heute!“ Ich frage: „Warum bist du nervös? Das ist doch kein so großer Gig für dich.“ Er sagt: „Ja, aber ich werde heute Abend mit Jeff Beck Gitarre spielen!” Und das sagt Dave ­Gilmour! Gitarristen auf der ganzen Welt ­sehen zu Jeff Beck auf. Die Gitarre ist wie ein Teil seines Körpers, er schafft es, dass sie wie eine Stimme klingt. Ich fühle mich sehr geehrt, mit so brillianten, großartigen Musi­ kern zusammen zu arbeiten. Was sind die Situationen, in denen du selbst nervös wirst? Bist du generell nervös vor Auftritten? _I: Bevor ich auf die Bühne gehe bin ich nicht

nervös. Ich bin angespannt, aber nicht ner­ vös. Gigs sind das, was ich tue, ich liebe es Gigs zu spielen. Ich mache das seit meinem 16. ­Lebensjahr. Fernsehen ist ein bisschen seltsam, da bin ich schon nervös, mit den vielen Kameras um mich herum. Da fängt Imelda May |

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Aber zu Hause… ich liebe es, Musik mei­ ne Aufmerksamkeit zu schenken. Das mag ich lieber, als nebenbei zu hören, während ich etwas anderes mache. Ich liebe es, eine Platte aufzulegen. Ich sammle Platten – ich liebe ­Vinyl! Ich habe auch CDs, hunderte­ von CDs, aber ich schenke ihnen nicht den gleichen Respekt wie meinen Platten. Die CDs liegen überall rum und ich wische höchstens mal kurz drüber, bevor ich sie in den ­CD-Player lege. Aber meine Platten… um die kümmere ich mich ganz anders, achte darauf, dass sie ordentlich in ihren Hüllen ­stecken. Ich höre aber eigentlich ständig Musik, beim kochen, beim sauber machen… aber ich liebe es, eine Platte aufzulegen. Weißt du, die Leute schenken dem Fernsehen so viel Auf­ merksamkeit, Respekt und Zeit. Sie lehnen sich zurück und machen nichts anderes. Ich mache das so mit Musik, lehne mich zurück und höre einfach nur zu, um jedes Detail mitbekommen. Vinyl hat diesen unvergleich­ lichen, warmen Klang, den findet man nir­ gendwo anders. Das ist wohl auch der Grund, warum es wieder im Kommen ist. Das erste Mal als ich einen meiner Songs auf Vinyl gehört habe… wow, das war ein magischer Moment! Es klingt einfach anders. Das war wunderbar, vielen Dank! Aber ich glaube, unsere Zeit ist leider um. _I: Oh, eine Sache möchte ich noch sagen.

Ich langweile euch sicher…

Nein, nein, bitte! _I: Was die Produktion des Albums „May­

hem“ betrifft… ich möchte das nicht ganz allein für mich beanspruchen. Am Ende habe ich ein wenig mit dem Mischen gekämpft. Habt ihr schon mal etwas abgemischt? Das ist ein sehr heikler Balance-Akt. Das Abmischen von „Love Tattoo“ war kein Problem, das habe ich auf einem guten Niveau hingekriegt. Aber bei diesem Album, jetzt, wo ich auf einem Major Label bin, wusste ich, das Niveau muss 64 | Imelda May

nach oben gehen, und ich wusste, das schaffe ich nicht allein. Also sind Andy Wright und Gavin Gold­ berg dazu gekommen. Das war eine sehr res­ pektvolle Zusammenarbeit. Andy hat gesagt: „Ich weiß, du hast es selbst produziert, du brauchst nur ein klein wenig Hilfe damit.“ Ich möchte den beiden dafür danken. Wir hatten Auseinandersetzungen, aber jetzt ist alles gut! (lacht) Ach herrje, ich habe so viel geredet! Jetzt müsst ihr mir aber noch ein bisschen von euch erzählen… „Mayhem“ erscheint in Deutschland am 04. Februar 2011. — Interview: Gabi Rudolph & Katja Mentzel Fotos: Chris Clor

DISKOGRAFIE Alben No Turning Back (2005) Love Tattoo (2008) Mayhem (2010) Singles Johnny Got a Boom Boom (2008) Big Bad Handsome Man (2008) Psycho (2008) Mayhem (2010)



Beflügelnder Frühling Schauspielerin Anna Julia Kapfelsperger (aktuell in den Kinos mit "Kokowääh") bringt Farbe in den trüben Februar und zeigt uns, warum wir uns schon jetzt auf den Frühling freuen können.

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G端rtel: Vintage Strumpfhose: American Apparel Pullover: Ethel Vaughn Armreif: Vanessa Baroni

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Bluse: American Apparel Ohrringe: Vanessa Baroni

Fotos: Jens Herrndorff 째 Styling: Tatiana Calasans 째 Haar & Makeup: Ann-Christin Galka

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Neu   im

Licht spiel haus

Krach in der Cyber-Märchenwelt, ein Meister des Erzählkinos, 127 Stunden ­Adrenalin und eine geschundene Ballerina.

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Start: 27. Januar Regie: Joseph Kosinski Mit: Garrett Hedlund, Olivia Wilde und Jeff Bridges

Start: 27. Januar Regie: Clint Eastwood Mit: Matt Damon, Cécile de France

Ein sinnfreies aber ästhetisches Spektakel. „Tron: Legacy“ ist in erster Linie Popcorn­ kino. Die schwache Story wird von heraus­ ragenden Bildern und beeindruckenden Ef­ fekten kaschiert. Worum geht‘s? Der Sohn macht sich auf die Such nach dem Vater der im eigenem Cyber-Universum verschollengegangenen ist. Das Ende gibt es im Kino zu bestaunen. Man wartet vergebens auf die kaleidosko­ pischen Farbexplosionen des ersten Teils von 1982. Diese wurden im Sequel leider durch reizlose, gläserne Schwarz- und Blautöne ersetzt. Die hollywood’sche Effektkiste wird zwar vollends ausgekippt, allerdings ohne noch nie da gewesenes hervorzubringen. Daft Punk, verantwortlich für den Sound­ track, liefern über 100 Minuten Musik. Ein imposantes, schallendes Erlebnis. Den Franzosen gelingt es die Cyber-Märchenwelt der Storyline in Melodien umzuformen und ein bedrohliches klangliches Ebenbild der Computerwelt Trons zu erschaffen. Eine mustergültige Verschmelzung von Sounds aus der Konserve­mit klassischen Arrangements. Also, 3D-Brille aufsetzen, den bunten Linien folgen und sich an den wummernde Bässen erfreuen. — Sebastian Schelly

Drei Personen werden vom Tod so berührt, wie es die meisten Menschen nie erleben. Durch ihre Augen werden Sujets wie Liebe, Verlust, Einsamkeit und Sterblichkeit be­ trachtet. So stehen sie einer ungewöhnlichen Dreiecksbeziehung. Gibt es ein Leben nach dem Tod? Dieser­ Frage nähert sich „Hereafter“ aus drei Perspek­tiven, unterliegt jedoch nicht der Ver­ suchung Antworten oder etwaige Beweise zu liefern. Dank Eastwood‘s Kunstfertigkeit über­ lebt der Film so in Minenfeld sentimentaler Klischees und präsentiert sich am Ende als Werk mit erstaunlicher Authentizität. Das lieferte dem Film eine Kraft, die Skeptiker, Mystiker sowie jene in der Mitte fesseln und mitreißen kann. Ein Meister des Erzählkinos, dem es ­gelingt Geister und das Jenseits glaubhaft darzustellen. Matt Damon und Cécile de France bril­ lieren in den Hauptrollen und auch die ­Zwillingsbrüder Frankie/Geroge McLaren spielen unnachahmlich eindringlich. Am Ende sitzt man da und ist verwundert, ver­ wirrt, aber wundervoll berührt. Das ist wun­ dervoll. Ein Meisterwerk. — Sebastian Schelly

Tron: Legacy

Hereafter

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Black Swan

Start: 20. Januar Regie: Darren Aronofsky Mit: Natalie Portman, Vincent Cassel

Regisseur Darren Aronofsky verlangt nach seinem Drama „The Wrestler“ wieder ein­ mal alles von seinen Schauspielern ab. In die­ sem Fall ist es Natalie Portman, die in dem ­Balletdrama „Black Swan“ eine schizophrene 72 | Neu im Lichtspielhaus

Ballerina mimen soll. Dafür trainierte sie ein Jahr lang fünf Stunden täglich. Dabei her­ ausgekommen ist ein überzeugendes Psycho­ drama, das in so mancher Hinsicht unter die Haut geht. Streicher, Flöte und Fußgetrippel. Nina (Natalie Portman) hat ihren ersten großen Auftritt im Scheinwerferlicht. Ihr Blick, ein Leid. Sie will es zu sehr. Dieses Gefühl lässt nicht mehr los. Das Orchester setzt ein und die ehrgeizige Nina wird durch einen Lip­ penbiss nicht nur zum weißen Schwan in Tschaikowskys Schwanensee, sondern auch zum dämonischen schwarzen. Die Rolle ihres Lebens, welche die Mutter nicht hatte und die ihr das Leben zur paranoiden Last wer­ den lässt. Sie lebt den vollkommenen, weißen Schwan, doch mit der Aufgabe, den schwar­ zen Schwan in sich zu entdecken, tut sich der Abgrund auf. Die unterschiedlich verzerrten Gesich­ ter lauern ihr in den einsamen Momenten auf und die Frage nach dem Guten ist nicht leicht beantwortet. Viele Pirouetten wurden gedreht, die Konzentration gestärkt, doch ist Lily (Mila Kunis) Konkurrenz, Freundin oder gar hinter ihrem Leben her? Vielleicht sogar hinter ihrem exzentrischen Lehrer (Vincent Cassel), für den doch nur Nina die „kleine Prinzessin“ sein sollte und der sie so heraus­ fordert. Die Erotik knistert, die Flügel wer­ den geschwungen. Und letztlich ist sie der schönste Schwan, der perfekte. Abspann. Viele Worte beschrei­ ben nicht diese Geschichte der Selbstzer­ störung und Hingabe. Die opulente Musik Tschaikowskys übernimmt die Erzählerrolle, zieht den Zuschauer noch stärker hinein als Nina noch tiefer fällt. Der Golden Globe für Natalie Portmans Meisterrolle steht für sich. — Hella Wittenberg


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127 Hours

Start: 17. Februar Regie: Danny Boyle Mit: James Franco & Lizzy Caplan

Im April 2003 verunglückte der Bergsteiger Aron Ralston in einer schmalen Felsspalte des Blue John Canyon in Utah. Beim Absteigen in den Slot löste sich ein 360 Kilo schwe­ rer Felsbrocken und quetschte seinen rech­ ten Arm zwischen Wand und Bolder ein. Er beschrieb den Vorfall als Überlebenskampf und existenzielle Krise. 127 Stunde aushar­ ren, zweifeln, kämpfen und letztlich gibt es nur ­einen Ausweg. Kein Film für schwache Nerven. Durchaus spannend, aber wie diese eigen­ willig inspirierte Geschichte in einen drama­ tischen und faszinierenden Film umwandeln? Regisseur Danny Boyle („Slumdog Millio­ naire“) hat zwei grundlegende Entschei­ dungen richtig getroffen. Er vertraut einem talentierten James Franco, dessen spieleri­ sche und knalltütenmäßige Energie fesselt. Darüber hinaus überlässt er zwei begabten Kammermännern das Feld, diese liefern ­wunderschöne Bilder, die einem das Gefühl einer großen Reise geben, obwohl sich der Film auf nicht mehr als einigen Zentime­ tern bewegt. Aron ist ein natürlicher und ständig zu Witzen aufgelegter Kumpeltyp. So gibt es immer wieder tragikomische Augenblicke, die dem Film an Härte nehmen und ihn auf­ lockern. Im Kern einfach und schlicht, ent­ faltet der Film dennoch eine Energie, die ihn vorantreibt. Die Torturen und Eintönigkeit Arons Tage werden gekonnt dargestellt, ohne den Zuschauer durch 127 Stunden zu quälen. Somit wird ein schockierender und dras­ tischer Unglücksfall zu einer dramatischen Selbstbefreiung. „127 Hours“ ist kein Film, der nur unter die Haut geht. Er packt zu und lässt einen glücklich zurück. Glücklich, am Leben zu sein. — Sebastian Schelly

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Außerdem danken wir den Künstlern für die tol­ len Gespräche und ihre Inspiration, all unseren Lesern, all unseren Lieben und all denen, die wir vergessen haben. Michaela & Gabi

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Foto: Lynn Lauterbach

Folgenden Menschen gebührt unser­Dank, weil sie uns die Themen dieser Erstausgabe ermöglicht haben: Matthias Bischoff (ADD ON MUSIC) Cornelia Filipov (Panorama 3000) Jens Herrndorff (Jens Herrndorff Photography) Philipp Honold (Revolver Promotion) Nicole Jacobsen Wiebke Kulpa (A.S.S. Concert & Promotion GmbH) Janna Prager (Verstärker) Sabine Kühn (Roughtrade) Rafael Mans (Fettes Brot Schallplatten GmbH) Vivien Mierzkalla (Domino Records) Sven-Erik Stephan (Beats International)


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Herausgeber »FastForward Magazine Driesener Straße 29 10439 Berlin T: 030 530897-61 F: 030 530897-64 www.fastforward-magazine.de redaktion@fastforward-magazine.de

Redaktion Michaela Marmulla ° michaela@fastforward-magazine.de Gabi Rudolph ° gabi@fastforward-magazine.de

Artdirektion Sophie Spuler ° post@pixelquader.de

Praktikum Sebastian Schelly Mitarbeiter dieser Ausgabe Lynn Lauterbach, Katja Mentzel, Maike Persike, Ronny Ristok, Sebastian Schelly, Hella Wittenberg

Redaktionelle Mitarbeit Stefanie Seidel Eine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit­ von Terminen kann nicht ü ­ bernommen werden. Änderungen sind möglich. Dieses Magazin, alle in ihm enthaltenen Beiträge und Fotos sind urheber­ rechtlich geschützt. Jeglicher Nachdruck, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Genehmigung­ der Redaktion und Quellenangabe gestattet. Für ­eingesandte Manuskripte,­Vorlagen und Illustrationen kann leider keine Haftung ü ­ bernommen w ­ erden. Eine Veröffentlichungsgarantie kann nicht gegeben werden. Ausgabe Nr. 01/2011

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